Das italienische Maedchen
gut.«
»Nein, Roberto. Ich habe mich, anders als Sie, am Nachmittag nicht ausgeruht. Ich werde mir etwas zu essen aufs Zimmer kommen lassen, meine Rolle studieren und schlafen. Gute Nacht!«
Wenige Sekunden nachdem sie aufgelegt hatte, klingelte das Telefon erneut, doch Rosanna ging nicht ran. Als es aufgehört hatte, wählte sie die Nummer des Zimmerservice und bestellte einen Salat. Dann bat sie die Rezeption, keine Gespräche mehr durchzustellen, und beschäftigte sich mit ihrer Partie.
Am folgenden Morgen stand Rosanna früh auf, traf vor den meisten anderen Sängern in Covent Garden ein und ging eine Stunde lang mit Jonathan Davis die Passagen durch, bei denen sie sich unsicher war.
Offiziell begannen die Proben um zehn Uhr. Um elf war Roberto nach wie vor nicht zu sehen.
»Keine Sorge, Miss Menici. Bei Proben ist das immer so. Am Ende liefert er aber jedes Mal einen hervorragenden Auftritt«, versicherte Jonathan ihr.
Rosanna behielt ihre Gedanken über ihren Kollegen für sich und versuchte, sich aufs Singen zu konzentrieren. Als sie gerade Mittagspause machen wollten, tauchte Roberto endlich auf.
»’tschuldigung. Ich hab gestern Abend vergessen, einen Weckruf zu bestellen«, erklärte er ungeniert.
»Gut, dann machen wir alle noch eine Stunde weiter«, teilte Jonathan den anderen Künstlern mit Engelsgeduld mit.
Eine Stunde später verkündete Roberto, er habe Halsschmerzen, die er im Savoy auszukurieren gedenke.
»Das feuchte Klima hier ist schuld. Bis später im Hotel, Rosanna.«
Rosanna wandte ihm den Rücken zu.
Als sie später am Abend in der Badewanne lag, hörte sie es an der Tür klopfen. Sie ignorierte es, weil sie sich nicht sicher war, ob sie sich beherrschen könnte. Kurz darauf stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab, schlüpfte in einen kuscheligen Bademantel und ging in den Wohnbereich, wo zu ihrer Überraschung auf dem Sofa vor dem Fernseher Roberto lümmelte.
»Was machen Sie denn hier?« Sie zog den Bademantel enger um den Leib.
»Die Tür war nicht verschlossen.« Er lächelte entwaffnend. »Du solltest vorsichtiger sein. Man kann nie wissen, wer reinspaziert. Ich wollte dich zum Abendessen ausführen.«
Rosanna sank in einen Sessel. »Ich dachte, Sie haben Halsweh.«
»Jetzt nicht mehr. Komm, zieh dich an, dann gehen wir.«
»Nein, ich will nicht.«
Roberto warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Warum nicht?«
»Weil ich müde bin. Außerdem will ich nicht mit Ihnen essen gehen.«
»Rosanna, wieso bist du so wütend auf mich? Was habe ich verbrochen?«
»Was Sie verbrochen haben? Mamma mia! « Rosanna boxte wütend in ein Kissen.
»Bitte erklär es mir.«
Damit brachte er das Fass zum Überlaufen. »Na schön, Signor Rossini. Ich soll mein Debüt in Covent Garden geben, bin nervös, habe Angst und das Gefühl, nicht genug geprobt zu haben. Und in den wenigen Tagen, die mir bleiben, um mir die Rolle anzueignen, ist mein Partner nicht bereit, mehr als ein paar Stunden für die Arbeit zu opfern, weswegen ich und das Ensemble ohne ihn proben müssen, obwohl es nicht mehr lange bis zur Premiere ist! Und …«
Als sie sah, wie Robertos Mundwinkel zu zucken anfingen, verstummte Rosanna.
»Warum lachen Sie? Ich finde das überhaupt nicht lustig!«
»Endlich sehe ich, dass Rosanna Menici Feuer hat, das Temperament einer echten Künstlerin.«
»So, so, Temperament.« Rosanna machte drohend einen Schritt auf Roberto zu. »Nun werde ich Ihnen mal was über Temperament erzählen, Signor Rossini. Ich habe gehört, dass Sie schwierig sind, aber weil Sie mir in Mailand geholfen haben, dachte ich, die anderen neiden Ihnen nur den Erfolg, und habe dem Klatsch keine Beachtung geschenkt. Nach den letzten beiden Tagen weiß ich, dass ich mich getäuscht habe. Sie sind durch und durch egoistisch. Sie behandeln mich und die andern, als wären wir es nicht wert, auf derselben Bühne wie Sie zu stehen. Wenn Sie dann tatsächlich einmal zu den Proben erscheinen, führen Sie sich auf wie ein trotziges Kind, sobald etwas nicht nach Ihrem Kopf geht. Keine Ahnung, warum alle sich das gefallen lassen. Wenn ich Jonathan Davis wäre, hätte ich Sie schon längst rausgeschmissen.«
Rosanna bebte vor Wut.
Roberto schaute sie an.
»Weißt du, dass du wütend noch hübscher bist als sonst?«
Bevor sie sichs versah, packte Roberto ihre Hände und zog sie auf seinen Schoß. Wie in Trance beobachtete sie, wie sein Mund sich dem ihren näherte. Kurz bevor ihre Lippen sich berührten, kam
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