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Das italienische Maedchen

Das italienische Maedchen

Titel: Das italienische Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucinda Riley
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hinaus auf die Bühne.
    Viele Stunden später kehrte Rosanna völlig überdreht in ihre Suite im Savoy zurück.
    Sie waren mit schier endlosem Beifall bedacht worden. Jonathan erklärte ihr, dass sie und Roberto zweiundzwanzig Vorhänge bekommen hatten. Bei dem anschließenden Fest war sie von Fremden umringt gewesen, die sie in höchsten Tönen lobten und behaupteten, ihre Violetta sei die beste seit der der Callas gewesen.
    Rosanna setzte sich in einen Sessel und ließ die drei schönsten Stunden ihres bisherigen Lebens Revue passieren. Zum ersten Mal hatte sie auf der Bühne die Macht gespürt, die sie über die Zuschauer besaß, und angefangen, Spaß an der Sache zu finden. Sie hatte die tragische Heldin als eine Frau voll fieberhafter Erregung und Angst im Angesicht der Versuchung dargestellt und Violetta zum Leben erweckt.
    Und Roberto hatte sie als Alfredo großzügig unterstützt, sie nie an die Wand gespielt. Seine Gelassenheit in den Duetten hatte sich auf sie übertragen. Er hatte Rücksicht auf sie genommen, ihr die Bühne überlassen. In manchen Momenten des »Parigi, o cara« hatte sie selbst die zum Scheitern verurteilte Liebe Violettas empfunden. Rosanna seufzte. Egal, wie egoistisch Roberto manchmal war, ein Teil von ihr liebte ihn seit ihrer Kindheit. Nach diesem Abend war ihr das klarer denn je.
    Sie hatte vorgehabt, sich mit ihm auszusöhnen, ihm für seine aufmunternden Worte vor ihrem Auftritt und für seine Hilfe zu danken. Aber bei der Party war sie von so vielen Menschen umringt gewesen, dass sich keine Gelegenheit geboten hatte, mit ihm zu sprechen.
    Rosanna lief in ihrem Wohnbereich auf und ab und überlegte, was sie tun sollte. Am Ende öffnete sie die Tür und ging zu seiner Suite.
    Keine Reaktion auf ihr leises Klopfen. Als sie lauschte, hörte sie zunächst nichts und glaubte dann, ein ersticktes Schluchzen zu vernehmen. Verwirrt vergewisserte sie sich, dass sie sich vor der richtigen Tür befand. Sie lauschte noch einmal. Tatsächlich: Drinnen weinte jemand.
    »Roberto«, rief sie leise. »Ich bin’s, Rosanna.«
    Weiter dieses Schluchzen. Als Rosanna die Klinke herunterdrückte, stellte sie fest, dass die Tür nicht verschlossen war. Das Weinen kam von hinter dem Sofa. Roberto lag in voller Abendrobe, den Kopf in den Händen, auf dem Boden und schluchzte herzzerreißend. Als sie ihm die Hand auf die Schulter legte, zuckte er erschreckt zusammen.
    »Ich bin’s nur«, flüsterte sie und kniete neben ihm nieder. »Roberto, was ist los? Was ist passiert?«
    Er sah sie mit einem so gequälten Ausdruck an, dass sie nicht anders konnte, als die Arme um ihn zu legen und ihn unbeholfen an sich zu drücken.
    »Bei der Feier hab ich eine Nachricht erhalten. Meine Mamma … sie … ist gestorben.«
    »Maria? Roberto, das ist ja schrecklich.«
    »Als mein Vater nach Hause gekommen ist, lag sie wie üblich im Bett, doch sie hat sich nicht gerührt, und er hat gemerkt, dass sie nicht atmet. Die Ärzte meinen, sie habe einen Schlaganfall erlitten. Ich habe ihnen so lange versprochen, sie zu besuchen, es aber nicht getan, und jetzt … jetzt ist es zu spät. Meine Mamma ist tot. Ich werde sie nie wiedersehen.« Er brach erneut in Tränen aus.
    »Soll ich gehen, Roberto? Vielleicht willst du lieber allein sein.« Überrascht stellte sie fest, dass sie ihn geduzt hatte.
    »Nein. Bitte bleib. Du hast sie gekannt, Rosanna, du kannst mich verstehen.«
    »Möchtest du was trinken?«
    Roberto nickte. »In dem Schrank da drüben ist Brandy.«
    Rosanna holte die Flasche, schenkte ziemlich viel ein und reichte ihm das Glas.
    »Danke.« Er leerte es mit einem Zug.
    »Soll ich die Rezeption bitten, schnellstmöglich einen Flug nach Neapel zu organisieren?«
    Roberto blickte sie mit Tränen in den Augen an. »Nein, Rosanna. Weil ich schlecht und egoistisch gewesen bin, kann ich nicht nach Neapel, nicht einmal zum Begräbnis meiner Mutter.«
    »Roberto, alle könnten es verstehen, wenn du eine Vorstellung absagst. Deine Mutter ist gestorben, du musst nach Hause.«
    »Du verstehst das nicht. Ich kann nicht, Punkt!«
    »Setz dich doch aufs Sofa«, schlug sie vor.
    Er ließ sich von ihr aufhelfen und zur Couch führen. Rosanna nahm neben ihm Platz und ergriff seine Hand.
    »Ich glaube, ich habe nur einen Menschen richtig geliebt, meine Mamma. Und ich habe sie im Stich gelassen wie alle andern. Nun kann ich mich nicht einmal von ihr verabschieden. Ich bin ein Mistkerl.«
    »Sie würde das bestimmt nicht so sehen.

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