Das italienische Maedchen
auf Heathrow.«
Fünfundvierzig Minuten später schob Luca seinen Gepäckwagen durch den Zoll und in die Ankunftshalle, wo er Rosanna entdeckte, die über die Absperrung gelehnt nach ihm Ausschau hielt. Bei ihrem Anblick verschlug es Luca den Atem. Als er seine Schwester das letzte Mal gesehen hatte, war sie noch ein Mädchen gewesen, nun stand eine erwachsene Frau vor ihm. Die Haare, die in glänzenden Wellen ihr Gesicht umrahmten, hatte sie sich schulterlang schneiden lassen, und ihre Züge wirkten reifer. Das dezente Make-up betonte ihre natürliche Schönheit.
»Luca!«, rief Rosanna aus, als sie ihn entdeckte, rannte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu und drückte ihn an sich. »Ich kann es noch gar nicht glauben, dass du hier bist. Es ist so schön, dich zu sehen!«
»Das finde ich auch, piccolina .«
»Komm, der Wagen wartet draußen.«
In dem Haus in Kensington führte Rosanna Luca in die Küche. Während sie Kaffee kochte, bewunderte er die Fotos auf der Anrichte. Sie setzten sich mit ihren Tassen an den Tisch.
»Was für ein schönes Haus, Rosanna. Ein bisschen komfortabler als unsere Wohnung in Mailand, was?«
»Ja. Roberto und ich lieben es sehr.«
Luca nahm ihre Hände in die seinen. »Endlich sind Bruder und Schwester nach so langer Zeit wieder vereint. Du strahlst richtig, Rosanna. Du hast dasselbe Gesicht und denselben Körper wie früher, aber du wirkst so … kultiviert.«
»Findest du?«
»Ja. Ich erinnere mich noch gut an das schüchterne kleine Mädchen von damals. Und jetzt … deine Kleidung, deine Haare … dein fließendes Englisch.« Er lächelte. »Du bist zu einer Kosmopolitin geworden.«
»Das ist doch keine Veränderung zum Schlechten, oder?«
»Natürlich nicht. Wir werden alle erwachsen.«
»Im Innern bin ich nach wie vor das kleine Mädchen. Ich kann es kaum glauben, dass wir uns fast drei Jahre lang nicht gesehen haben. Du bist dünn, Luca. Bekommst du im Priesterseminar genug zu essen?«
»Aber sicher«, antwortete er schmunzelnd.
Kurzes Schweigen, dann redeten sie gleichzeitig.
»Hast du …?«
»Bist du …?«
Sie mussten lachen. Rosanna schüttelte den Kopf. »Es gibt so viel zu erzählen, ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll. Und ich möchte alles über Papà und Carlotta und Ella erfahren. Wir haben drei Tage Zeit, vielleicht sollten wir bei dir anfangen. Bist du glücklich, Luca? War es die richtige Entscheidung?«
»Ja, ich glaube, dass ich nach all den Jahren der Suche meine Berufung gefunden habe.« Er nahm einen Schluck Kaffee. »Selbstverständlich kann man nicht immerzu glücklich sein, und manchmal habe ich das Gefühl, dass das, was ich im Priesterseminar lernen muss, weniger mit Gott und mehr mit den Regeln der Kirche zu tun hat. Es gibt so viele Vorschriften, von denen manche meiner Ansicht nach die Arbeit, die ich in Zukunft verrichten möchte, möglicherweise sogar behindern.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber mir geht es gut. Vielleicht bin ich nur so ungeduldig, weil ich endlich helfen möchte.«
»Ich verstehe, was du meinst. Schließlich habe ich vor meinem Debüt eine zehnjährige Ausbildung absolviert«, erklärte Rosanna. »Es kann frustrierend sein, doch am Ende ist es die harte Arbeit wert.«
»Bei dir scheint sie sich jedenfalls ausgezahlt zu haben. Du wirkst sehr glücklich, piccolina .«
»Bin ich auch. Ich habe ebenfalls das Gefühl, meine Bestimmung gefunden zu haben.«
»In deinem Beruf?«
»Ja, aber noch wichtiger: mit Roberto.«
Luca verkniff sich eine Bemerkung. Wenn Rosanna glücklich war – und das erschien ihm so –, sollte ihm das recht sein. Egal, was er von Roberto hielt.
»Schon an dem ersten Abend damals, als Roberto in unserem Café gesungen hat, wusste ich tief in meinem Innern, dass ich ihn liebe. Merkwürdig, denn soweit ich mich erinnere, hatte er damals nur Augen für Carlotta. Ich war für meine elf Jahre ziemlich eifersüchtig. Weißt du, dass ich damals in mein Tagebuch notiert habe, ich würde ihn eines Tages heiraten?«
Luca schluckte.
»Apropos Carlotta: Wie geht’s ihr?«, erkundigte sich Rosanna.
»Im Großen und Ganzen gut.«
»Ich habe ihr einen Brief geschrieben, weil es Neues zu berichten gibt.«
»Und zwar?«
»Ich habe es selbst erst vor Kurzem erfahren. Sie ist die Einzige, die verstehen kann, wie ich mich fühle.«
»Und wie fühlst du dich?«
»Anfangs hat es mich erschreckt, es kam so überraschend. Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Jetzt, wo ich mich allmählich an
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