Das italienische Maedchen
wachte bereits um halb sieben auf, ging ins Bad und hinunter in die Küche. Draußen hing dichter Herbstnebel. Die Blätter an dem Baum im Garten verfärbten sich und fielen eines nach dem anderen zu Boden, ein eindeutiges Zeichen, dass der Sommer vorbei war. Rosanna machte sich eine Tasse Tee, sank ächzend auf einen Stuhl und schmiegte den Kopf an die kühle Oberfläche des Tischs.
Um elf Uhr würde Roberto nach New York aufbrechen.
Die Abschlussvorstellung von La Bohème acht Wochen zuvor, ihr vorerst letzter gemeinsamer Auftritt, hatte sie wehmütig gestimmt. Seitdem hatten sie versucht, fröhlich zu sein und die gemeinsame Zeit zu genießen, obwohl die bevorstehende Trennung sie belastete.
Rosanna spürte, wie das Baby in ihrem Bauch strampelte. Sie richtete sich auf. Beim Abschied würde sie nicht weinen, weil Roberto sich nicht an ein aufgedunsenes Wrack mit roten, verheulten Augen erinnern sollte. Sie trank ihren Tee aus und ging schwer atmend nach oben, um zu duschen.
Eine Stunde später setzte sich Roberto seufzend an den Tisch.
»Kaffee ist in der Kanne, und ich hab dir Würstchen gebraten, weil du die so gern magst.« Rosanna rang sich ein Lächeln ab.
»Danke, cara .«
Sie gab Würstchen, gebratene Pilze und Tomaten auf zwei Teller und stellte sie auf den Tisch.
»Mm, das sieht köstlich aus.«
»Das Flugzeugessen ist ja immer grässlich, deswegen wollte ich dir noch mal was Besonderes bieten. Aber versprich mir, in New York auf dein Gewicht zu achten. Dr. Hardy meint, du solltest mindestens zwölf Kilo abnehmen.«
»Ja.« Roberto begann zu essen. »Ich wohne bei Chris, dort kannst du mich erreichen. Wenn es etwas Wichtiges geben sollte, rufst du einfach in der Met an. Die geben mir dann Bescheid.«
»Es wird schon alles gut gehen. Ich hab dem Kleinen da drin eingeschärft, dass es erst rausdarf, wenn sein Papà wieder da ist. Es sind noch sechs Wochen. Noch sechs Wochen«, seufzte sie. »Bekomme ich ein Baby oder einen kleinen Elefanten? Stell dir nur vor, wie dick ich sein werde, wenn du nach Hause kommst. Vielleicht bin ich bis dahin geplatzt.«
»Bitte ruf Dr. Hardy, falls es Probleme geben sollte.«
»Ja.«
»Einsam wirst du nicht sein, cara . Bestimmt schauen viele Leute von Covent Garden bei dir vorbei.«
»Mach dir keine Gedanken.«
Sie aßen beide kaum etwas. Schließlich stand Rosanna auf und räumte die Teller weg.
»Ich geh mal lieber duschen«, sagte Roberto.
Sie sah auf die Uhr. In weniger als einer Stunde würde er fort sein.
»Der Wagen ist da.« Roberto schlüpfte in seinen Mantel.
Rosanna zwang sich, nicht zu weinen.
» Amore mio .« Roberto schlang die Arme um sie. »Wie ich dich liebe und schon jetzt vermisse. Ich werde die Tage zählen, bis ich wieder bei dir bin.«
»Pass auf dich auf, Roberto. Ti amo, caro. «
Er nickte und lief die Treppe hinunter zum wartenden Wagen. Dort drehte er sich zu Rosanna um, warf ihr beim Einsteigen eine Kusshand zu und winkte, als das Auto losfuhr.
Dann war er weg.
Die erste Woche ohne Roberto zog sich endlos dahin, obwohl Rosanna immer wieder Besuch bekam. Manchmal empfand sie das als willkommene Ablenkung, dann wieder fühlte sie sich so müde, niedergeschlagen und schwach, dass sie ihre Gäste am liebsten gleich wieder verabschiedet hätte. Roberto rief sie dreimal täglich an, flüsterte ihr Liebesschwüre zu und sagte ihr, wie sehr sie ihm fehle. In jenen wenigen Minuten war Rosanna glücklich. Doch sobald sie aufgelegt hatte, begann sie zu weinen.
Die Sehnsucht nach ihm bereitete ihr fast körperliche Schmerzen. All die Dinge allein machen zu müssen, die sie sonst gemeinsam erledigten, tat tatsächlich weh.
Die Nächte erstreckten sich vor ihr wie ein gähnender Abgrund. Ohne Roberto konnte sie kaum schlafen. Wenn sie dann doch endlich eindöste, wurde sie gleich wieder vom Strampeln des Kindes geweckt.
An ihrem ersten Samstagabend allein rief Roberto nicht zur gewohnten Zeit an. Als das Telefon schließlich eine Stunde später klingelte, flehte sie ihn unter Tränen an, nach Hause zu kommen. Roberto erklärte, die Proben hätten länger gedauert als geplant. Sie entschuldigte sich für ihren Gefühlsausbruch.
Später wusch sie sich im Bad die Hände und betrachtete sich im Spiegel.
Du siehst schrecklich aus, sagte sie zu sich selbst. Reiß dich zusammen.
Rosanna duschte, zog ihren bequemen Flanellbademantel an und ging nach unten, um sich etwas zu kochen. Beim Essen wurde ihr bewusst, wie sehr ihre Liebe zu
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