Das Jahr auf dem Lande
vielleicht manchmal selbstsüchtig erscheinen, aber in Wirklichkeit bringt er seiner Familie große Opfer.«
Jo runzelte die Stirn. Sie hatte ihren Vater immer geliebt, aber mit einer gewissen Herablassung. All das, was Christine jetzt gesagt hatte, war ihr noch nie so richtig zu Bewußtsein gekommen. Aber das änderte nichts daran, daß Adrian beim Umzug überall im Weg stehen würde. »Wenn er nur einen kleinen Virus einfangen würde... Nichts Schlimmes, nur daß er für eine Weile Ruhe gibt...«
Ihr Wunsch wurde erfüllt. Adrian bekam zwar keine Grippe, aber einen Brief von seinem Verleger, der ihm mitteilte, die Herstellung habe festgestellt, daß sein neues Buch um fünftausend Anschläge zu lang sei. Sollte man das Manuskript im Lektorat kürzen, oder würde er das gern selbst machen? Er habe doch seinen Durchschlag...
Adrian kochte vor Wut. Wenn er ein Manuskript nach England geschickt hatte, pflegte er es für immer aus seinen Gedanken zu entlassen. »Ein Durchschlag! Den finde ich natürlich nie mehr! Und jetzt wird irgend so ein naseweiser Jüngling vom Lektorat in meinem Werk herumpfuschen.«
»Ich habe den Durchschlag aufgehoben, mein Lieber«, sagte Christine besänftigend. »Du kannst dich gleich an die Arbeit machen.« Etwas später meinte sie zu Jo und Robert: »Damit kann er sich während des Umzugs beschäftigen. Was für ein Segen!«
Adrian war noch immer wütend. »Ich werde ihnen telegrafieren, sie sollen das Buch so rausbringen, wie es ist, oder mir den Buckel runterrutschen. Sie werden es nicht wagen, mit mir zu streiten.«
Christine wußte, daß Verleger das durchaus konnten und sogar mit Autoren stritten, die viel bedeutender waren als Adrian. »Wir können uns den Durchschlag ja morgen mal ansehen, während Jo und Robert die erste Ladung auf die Farm schaffen«, schlug sie vor.
Schließlich gab Adrian klein bei, und alles verlief glatt. Jo und Robert fuhren auf die Farm, putzten, fegten und schrubbten einen Tag lang, und am nächsten Morgen trafen Onkel Josephs Möbel ein. Adrian saß zu Hause, getröstet von Jos Abschiedsworten: »Vergiß uns, mein Lieber. Dein Buch ist viel wichtiger.«
Und Robert hatte gesagt: »Wir machen die grobe Arbeit, und du und Christine, ihr könnt unserem Werk dann die Glanzlichter aufsetzen. Beeil dich mit dem Buch, dein Verleger wartet darauf!«
Als er den beiden von der Veranda aus nachwinkte, sagte Adrian: »Was für gute Kinder! Ich wünschte, daß wenigstens eins von den beiden meinen Geist geerbt hätte. Aber sie haben eben nur ihren gesunden Menschenverstand.«
»Immerhin wissen sie, wie wichtig deine Bücher sind, denn was würden wir ohne deine Erfolge machen?« Christine dirigierte ihn zu dem Tisch, auf dem der Durchschlag lag. Liebevoll blickte sie dann auf seinen gebeugten Kopf. Er war ihr drittes Kind, und sie liebte ihn genauso wegen seiner Hilflosigkeit wie um seiner sonstigen Qualitäten willen. »Lieber Gott, laß ihn vor mir sterben«, betete sie immer wieder, »denn er wäre verloren ohne mich.«
Er ging sehr gründlich vor bei seiner Arbeit. Wenn er auch sonst seine Papiere durcheinanderbrachte und seine Kugelschreiber verlegte — wenn es um seine Romane ging, gestattete er sich keine Schlamperei. Er ging die Arbeit streng methodisch an, strich hier ein paar Wörter, dort einen Absatz, und Christine fungierte als seine Sekretärin, notierte jede Seite, jede Zeile, wo er Kürzungen vorgenommen hatte.
Nach ein paar Tagen traf das erwartete Telegramm von Robert ein — »Alles okay«. Die Arbeit an dem Manuskript war beendet, und Christine brachte das Paket zur Post. Während Adrian seine Kleider aufs Bett legte, mit der vagen Vorstellung, sie in einen Koffer zu packen, warf er seiner Frau immer wieder skeptische Blicke zu. »Ich frage mich so oft, ob es dir gegenüber auch fair ist.«
Sie versicherte ihm, sie betrachte es als aufregendes Abenteuer, und vielleicht seien sie wirklich ein bißchen eingerostet, weil sie so viele Jahre an ein und demselben Ort verbracht hatten. Wenn sie nach einem Jahr zurückkehrten, würden sie sich frisch und munter und viel jünger fühlen. Sie betonte immer wieder, daß es sich nur um ein Jahr handelte, auch wenn sie sich sagte, daß das vermutlich überflüssig sei. Adrian würde das Landleben schon viel früher satt haben. Trotzdem — sie würde ihn regelmäßig daran erinnern.
Insgeheim hatte sie sich vor einem Sommergewitter gefürchtet, das die Lehmstraße unpassierbar machen würde. Aber
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