Das Jahr auf dem Lande
am Morgen ihrer Abreise schien die Sonne, und es regte sich kein Lüftchen. John Fletcher, der Dozent, der das Haus mieten würde, sollte am nächsten Tag eintreffen. Sie hatten den Schlüssel seiner Schwester übergeben. Christine warf einen letzten Blick auf ihr Heim, wie es heiter und einladend in dem schönen Garten stand, das Ergebnis zwanzigjähriger Liebe und Pflege. Aber sie zeigte nicht, wie ihr zumute war, und es war Adrian, der seufzend den Motor startete und leise sagte: »Unser Heim... Wie glücklich waren wir in diesem Haus... Und nun verlassen wir es...«
»Nur für ein Jahr. Unser Haus wird auf uns warten.«
Am frühen Nachmittag trafen sie auf »Gipfelkreuz« ein, und Jo kam ihnen entgegen, begleitet von einem riesigen Tier. »Sie hat schon ein Lieblingskalb«, sagte Adrian glückstrahlend. »Siehst du, wie schnell sie sich an ihr neues Leben gewöhnt hat.«
»Ich glaube nicht, daß das ein Kalb ist«, sagte Christine langsam. »Das ist vermutlich der Hund, den du ihr versprochen hast. Eine junge Dogge.«
»Großer Gott!« rief Adrian. »Aber ich habe ihr doch nicht so ein Riesenvieh versprochen! Ich dachte an einen Pekinesen oder schlimmstenfalls an einen Spaniel.«
»Du hast dich nicht klar ausgedrückt«, erwiderte seine Frau resignierend, »und das da ist ein Hund, daran gibt’s nichts zu rütteln.«
»Wie schön, daß ihr da seid!« rief das Mädchen. »Ist mein Hund nicht süß? Es ist so lieb von dir, daß du ihn mir schenkst, Adrian. Ich habe ihn sehr gern. Er frißt schrecklich viel, aber das bezahle ich von meinem Taschengeld.«
»Aber er ist ja groß wie ein Ochse.«
»Ich weiß, und er wird noch wachsen. Das macht dir doch nichts aus, Daddy?«
Wenn sie ihn Daddy nannte, konnte er niemals widerstehen. »Natürlich nicht. Aber wo hast du ihn denn so schnell gefunden?«
»In Avesville. Das ist die nächste Stadt. Ich habe ihn durch eine Annonce bekommen. Sein Besitzer wandert nach Europa aus. Oh, so sagt doch endlich, daß er euch gefällt!«
»Natürlich gefällt er uns«, sagte Christine mit einem schwachen Lächeln, und Adrian meinte: »Ich habe noch nie einen Roman geschrieben, in dem eine Dogge vorkommt. Und was das Futter betrifft — wozu habe ich mich jahrelang von meinem Verleger versklaven lassen, wenn ich es mir jetzt nicht einmal leisten könnte, eine Dogge zu ernähren?«
Und Adrian nahm schwungvoll zwei Koffer und marschierte den Hang hinauf.
Das Haus war kaum wiederzuerkennen. Jo und Robert hatten hart gearbeitet, und Onkel Josephs Möbel waren hübsch auf alle Räume verteilt, bis auf ein paar unmögliche Stücke, die in einen Schuppen gewandert waren. Natürlich paßten die viktorianischen Möbel nicht so recht in das Haus, aber das hatten sie ja vorher gewußt. Der Mahagonitisch beherrschte die Küche, und ein paar Ölgemälde schmückten das Wohnzimmer. »Eines heißt >Der Liebesbrief< und eins >Der Abschied<«, erklärte Jo. »Die drücken richtig auf die Tränendrüsen, und deshalb haben wir sie ins Klo gehängt. Sonst kriegen die Ratten im Lagerschuppen Verdauungsbeschwerden.«
»Wo ist denn Robert?« fragte Adrian, und Jo erwiderte, ihr Bruder habe schon ein paar Schafe gekauft und müsse jetzt den Weidezaun ausbessern.
Sie hat sich schon verändert, dachte Christine. Die städtische Arroganz ist verschwunden, sie benimmt sich ganz natürlich und spontan, seit sie etwas hat, »woran sie sich die Zähne ausbeißen kann«, wie ihr Vater es einmal so treffend ausgedrückt hatte.
»Ich glaube, sie wird es ein Jahr lang aushalten«, sagte Jos Mutter hoffnungsvoll, »und dann eine Stellung antreten. Mit Hilfe dieses lächerlichen Hundes und eines Pferdes. Ich bete nur zu Gott, daß sie sich keinen Riesenhengst anschafft.«
Doch es sollte ein sehr nettes Pferd werden, und das war Malcolm Trent zu verdanken, der ein paar Tage später anrief und sich erkundigte, wie man sich denn eingelebt hätte. Er sagte, er hätte ein Pferd, das gut zu Jo passen würde. »Kein Vollblut, aber gerade das Richtige für die Gegend hier. Es hat einem Schafhirten gehört, der für Mr. Holden gearbeitet hat. Nun hat er die Kündigung gekriegt oder ist von selbst gegangen, es gibt da die widersprüchlichsten Gerüchte. Jedenfalls hat er mich gebeten, das Pferd für ihn zu verkaufen. Sie können es sich ja mal ansehen.«
Sie fuhren alle auf Trents Farm, Jo in Reithosen und mit einem Sattel bewaffnet, und dann ritt sie triumphierend heim, keuchend, aber begeistert verfolgt von
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