Das Jahr auf dem Lande
also die Tochter dieses Schriftstellers. Sie sieht nicht einmal so vulgär aus, obwohl sie einen furchtbaren Slang spricht.«
»Aber es war doch sehr nett von ihr, daß sie Jackson verständigt hat«, meinte seine Frau Cynthia. Sie war hübsch und auch liebenswürdig, aber zu schwach, um sich gegen die Überheblichkeit ihres Mannes und seiner Mutter aufzulehnen.
»Sicher, das war nett von dem Mädchen«, sagte die alte Dame. »Heutzutage reden sie alle frei von der Leber weg. Ich finde, wir sollten den Leuten einen Besuch abstatten, James. Ich habe zwei Bücher von diesem Medway gelesen, anständige, saubere Romane, was man heutzutage ja selten findet. Ja, wir sollten sie einmal besuchen, aber weiter brauchen wir nicht zu gehen.«
Natürlich diskutierte man auch mit den anderen Bewohnern in Rangimarie darüber, mit den Severnes und den Sylvesters. Schließlich gelangte man zu der Ansicht, wenn die Holdens die Medways gesellschaftlich anerkannten, müsse man ihrem Beispiel folgen. Und so rief Cynthia Holden in »Gipfelkreuz« an und fragte, ob ihr Besuch genehm sei. Natürlich bejahte Christine diese Frage und war ein bißchen belustigt. Sie hatte sich nie große Gedanken um ihre Gäste gemacht und war stets der Meinung gewesen, wem es nicht bei den Medways gefalle, der brauche ja nicht wiederzukommen. Aber dann war sie doch ziemlich beeindruckt, als ein großer alter Rolls vor ihrer Tür hielt, nachdem er ächzend den Hang heraufgekrochen war, den die Medways immer zu Fuß bewältigten. Aber die alte Mrs. Holden konnte natürlich nicht mehr bergauf gehen.
Nun stieg sie aus dem Wagen, die imposanteste Gestalt, die Christine je gesehen hatte. Sie mußte schon über achtzig sein, aber sie hielt sich so steif wie ein Ladestock, wenn sie sich auch leicht auf ihren Stock stützte. Eine königliche Erscheinung, fand Christine. Sie lief hinaus, um ihre Gäste zu begrüßen. James Holden sah, wie Jo gesagt hatte, recht gut aus und wirkte so pompös wie ein Feudalherr aus dem vergangenen Jahrhundert. Seine Frau war hübsch, aber blaß, und ihre Schönheit wurde von der ihrer Tochter eindeutig überstrahlt. Elizabeth war zierlich, blond und blauäugig, und ihre nach unten gezogenen Mundwinkel verrieten Unzufriedenheit. Sofort dachte Christine an die unglückliche Liebesaffäre mit Craig Trent und fühlte Mitleid in sich aufsteigen.
James Holden fühlte sich ziemlich unbehaglich, als er das Haus eines Farmers betrat, eines Mannes, der einen so billigen, kleinen Besitz erworben hatte. »Ich war vorher noch nie hier«, sagte er, und Christine hatte das Gefühl, sie müßte ihm danken, weil er sich nun dazu herabließ, ihre schäbige Hütte zu betreten. Doch statt dessen wandte sie ihre Aufmerksamkeit der alten Dame zu, die anerkennend die viktorianischen Möbel musterte. »Ein reizendes Wohnzimmer«, sagte sie, und ihre Gastgeberin wünschte, sie könnte auch so empfinden.
Die Konversation hätte sich vermutlich mühsam dahingeschleppt, wäre Adrian nicht hereingekommen und hätte Bonhomie und Charme verströmt. Christine hatte ihn dazu überredet, seinen schäbigen Blazer abzulegen und sich ordentlich anzuziehen. Seine Freude über die neue Bekanntschaft war offensichtlich und entwaffnend. Die alte Mrs. Holden taute sofort auf, als er sich neben sie setzte. »Natürlich kann ich nicht mit Ihnen über Ihre Bücher diskutieren, weil ich nur zwei gelesen habe«, sagte sie. »Aber sie haben mir sehr gut gefallen.«
»Das freut mich, aber reden wir doch nicht von diesem langweiligen Zeug.«
»Ein Schriftsteller, der nicht über seine Werke sprechen will? Erstaunlich!«
»Reden wir lieber von Ihnen. Ich verstehe nicht, daß eine Frau wie Sie in einer so ländlichen Umgebung leben kann.«
»Sie meinen, ich würde besser in einen literarischen Salon passen? Sehr schmeichelhaft, aber ich bin lieber Königin in einer einfachen Szenerie, ohne Rivalin«, erwiderte Mrs. Holden, und sie lachten beide.
James Holden hob überrascht die Brauen. Seltsam, daß dieser Schriftsteller so gut mit seiner furchterregenden Mama umgehen konnte... Cynthia, sichtlich erleichtert, weil ihre Schwiegermutter sich in diesem Haus wohlzufühlen schien, begann sich ungezwungen an der Konversation zu beteiligen. Nur Elizabeth schwieg.
Dann flog die Tür auf, und Jo stand auf der Schwelle, in ihrer schäbigsten Reithose und einer Bluse, an der ein Knopf fehlte. Sheikh folgte ihr auf dem Fuß, und James zuckte leicht zusammen angesichts des riesigen Tiers.
Weitere Kostenlose Bücher