Das Jahr der Flut
Tex-Mexikaner. Und du. Drei.«
»Ach ja. Genau. Du siehst super aus − der Khakianzug steht dir echt gut.« Sie war groß, sie hatte diesen schlaksigen Abenteurerinnen-Look. Den Tropenhelm-Look.
»Du siehst auch nicht schlecht aus«, sagte Amanda. »Mach’s gut, Ren.«
»Du auch. Lass dich nicht von diesen Tex-Mexikanern linken.«
»Machen die nicht. Die halten mich für verrückt. Verrückte Frauen schneiden dir den Schniedel ab.«
»Wusst ich ja gar nicht!« Ich musste lachen. Amanda brachte mich gern zum Lachen.
»Woher auch?«, sagte Amanda. »Du bist ja nicht verrückt, du hast noch nie so ’n Teil auf dem Boden zucken sehen. Träum was Süßes.«
»Du auch«, sagte ich. Aber sie hatte schon aufgelegt.
*
Die Namenstage habe ich nicht mehr im Kopf − ich weiß nicht mehr, der wievielte heute ist −, aber die Jahre kann ich zählen. Ich hab mit meinem Augenbrauenstift an der Wand zusammengezählt, wie lange ich Amanda schon kenne. Ich hab’s genauso gemacht wie die Häftlinge in den alten Comics − vier Striche und dann einen Querstrich, um die fünf vollzumachen.
Es ist schon sehr lange her − über fünfzehn Jahre −, dass sie zu den Gärtnern kam. So viele Leute aus meinem früheren Leben waren von dort − Amanda und Bernice und Zeb; und Adam Eins und Shackie und Croze; und die alte Pilar; und natürlich Toby. Ich frage mich, was sie von mir halten würden − von dem, was ich beruflich mache. Einige wären enttäuscht, Adam Eins zum Beispiel. Bernice würde sagen, ich sei rückfällig geworden und es geschehe mir recht. Lucerne würde mich als Schlampe beschimpfen − sie muss es ja wissen. Pilar würde mich mit weisem Blick ansehen. Shackie und Croze würden lachen. Toby würde auf das Scales schimpfen. Und Zeb? Ich denke mal, er würde versuchen, mich zu retten, weil es eine Herausforderung wäre.
Amanda weiß es schon. Sie urteilt nicht. Sie sagt, man tauscht das, was man tauschen muss. Nicht immer hat man die Wahl.
12.
Anfangs, als Lucerne und Zeb mich aus der Außenhölle wegholten und wir uns den Gärtnern anschlossen, gefiel es mir überhaupt nicht. Die Leute lächelten zwar viel, machten mir aber Angst: Dieses wahnsinnige Interesse am Weltuntergang, an ihren Feinden und an Gott. Und ständig wurde über den Tod geredet. Die Gärtner waren sehr streng, was das Töten von Leben anging, aber andererseits hieß es, der Tod sei ein natürlicher Prozess, was doch irgendwie ein Widerspruch war, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Die Vorstellung, sich in Kompost zu verwandeln, war für die überhaupt kein Ding. Dass man irgendwann von einem Geier einverleibt wird, ist bestimmt nicht für jeden die tollste Aussicht, für die Gärtner aber schon. Und wenn sie dann von der wasserlosen Flut anfingen, die alle Menschen auf Erden umbringen würde, ausgenommen sie selbst − davon bekam ich Albträume.
Die echten Gärtnerkinder konnte das alles nicht erschrecken. Sie kannten es ja nicht anders. Sie machten sich sogar darüber lustig, zumindest die älteren Jungs − Shackie und Croze und ihre Freunde. »Wir gehen alle
drauhauf
«, sagten sie und zogen ihre Leichengesichter. »Hey, Ren. Wie wär’s mit ’nem kleinen Beitrag zum Lebenszyklus? Leg dich in den Container da rein, kannste Kompost spielen.« − »Hey, Ren. Willste ’ne Made sein? Dann leck mir die Schnittwunde hier.«
»Haltet die Klappe«, sagte Bernice dann. »Sonst landet ihr selbst in dem Container, weil ich euch da nämlich reinschmeiße!« Bernice war gemein und stand ihren Mann, und die meisten Kinder ließen mich in Ruhe. Sogar die Jungs. Nur dass ich dann in Bernices Schuld stand und mich von ihr rumkommandieren lassen musste.
Shackie und Croze piesackten mich aber auch dann, wenn Bernice nicht in der Nähe war, um sie zurückzupfeifen. Sie zerquetschten Nacktschnecken und aßen Käfer. Sie wollten immer, dass man sich ekelte. Sie waren der personifizierte Ärger − so nannte Toby sie. Ich hörte sie immer zu Rebecca sagen: »Ärger im Anmarsch.«
Shackie war der Älteste; er war groß und dünn und hatte am Innenarm ein Spinnentattoo, das er sich mit Nadel und Kerzenruß selbst gestochen hatte. Croze war eher stämmig geraten, mit rundem Kopf und einem fehlenden Eckzahn, den ihm angeblich jemand bei einer Prügelei ausgeschlagen hatte. Die beiden hatten einen kleinen Bruder namens Oates. Sie hatten keine Eltern mehr; hatten sie mal gehabt, aber ihr Vater hatte mit Zeb irgendeinen wichtigen Adamsausflug
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