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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ausradiert worden. Feuerblüte spielte mit der Stange, Savona ersetzte mich auf dem Trapez. Sie sah gut aus − grün glitzernd und sehnig, mit neuem silbernem Mo’Hair. Über so einen hatte ich auch schon nachgedacht − viel besser als Perücken, weil sie nicht abgingen −, aber einige Mädchen meinten, die Haare würden nach Lammkoteletts riechen, vor allem im Regen.
    Savona stellte sich etwas ungeschickt an. Sie war kein Trapezmädchen, sondern ein Stangenmädchen, und sie war oberkörperlastig − sie hatte sich zu Strandballgröße aufpumpen lassen. Wenn sie Stilettos trug, brauchte es nur einen Hauch von hinten, und sie lag auf der Nase. »Wenn’s funktioniert«, sagte sie. »Und ich sag dir, Baby, es funktioniert.«
    Gerade machte sie die einhändige Grätsche auf dem Kopf. Mich überzeugte sie nicht, aber an der Artistik waren die Männer da unten sowieso nie besonders interessiert. Solange Savona nicht lachte, anstatt zu stöhnen, oder besser noch, vom Trapez fiel, waren sie bedingungslos begeistert.
    Ich schaltete die Schlangengrube weg und zappte mich einmal durch die anderen Räume, aber in keinem war besonders viel los. Keine Fetischisten, keiner, der sich federn oder mit Porridge zukleistern oder in samtene Seile aufspannen lassen oder unter zuckenden Guppys liegen wollte. Nur das tägliche Einerlei.
    Dann rief ich Amanda an. Wir sind füreinander wie Familie; als wir jünger waren, waren wir beide streunende kleine Hunde. Das schweißt, glaube ich, zusammen.
    Amanda war gerade in der Wüste von Wisconsin, um da irgendeine ihrer Biokunstinstallationen zusammenzubauen, jetzt, wo sie, wie sie immer sagte, in Kunst machte. Diesmal war es was mit Rinderknochen. In ganz Wisconsin liegen Rinderknochen verstreut, seit der großen Dürre vor zehn Jahren, als es den Leuten billiger erschien, die Rinder abzuschlachten, als sie wegzuschaffen − also die Rinder, die nicht schon von allein eingegangen waren. Sie hatte sich ein paar Brennstoffzellen-Frontlader besorgt und zwei illegale tex-mexikanische Flüchtlinge angeheuert und schleppte die Rinderknochen zu einem gigantischen Muster zusammen, so groß, dass es nur von oben zu erkennen war: riesige Großbuchstaben, die ein einzelnes Wort ergaben. Später wollte sie dann Ahornsirup drübergießen, warten, bis sich die Insekten drüber hermachten, aus der Luft Videoaufnahmen davon machen und das Ganze dann in irgendwelchen Galerien ausstellen. Ihr gefiel es, dabei zuzusehen, wie sich Dinge bewegen und wachsen und anschließend wieder verschwinden.
    Amanda schaffte es immer, Geld für ihre Kunstprojekte aufzutreiben. Sie war eine Art Berühmtheit in den Kreisen, die mit Kultur zu tun hatten. Es waren keine großen Kreise, aber es waren reiche Kreise. Diesmal war sie mit einem CorpSeCorps-Typen ins Geschäft gekommen − der sollte ihr den Hubschrauber für ihren Videodreh organisieren. »Ich hab mit Mr Superwichtig gegen ’ne Schraube getauscht«, so drückte sie sich aus − wir sagten nie CorpSeCorps oder Hubschrauber am Telefon, weil es Roboter gab, die einen genau auf diese Reizwörter hin belauschten.
    Ihre Wisconsin-Sache gehörte zu einer Serie namens Die
le
bende Welt
− aus Spaß sagte sie, die Gärtner hätten sie dazu inspiriert, weil Aufschreiben bei ihnen verpönt war. Erst hatte sie Wörter mit nur zwei Buchstaben gewählt wie
Du
und
Es
, dann mit drei Buchstaben und vier und fünf. Inzwischen war sie bei sechs. Sie benutzte zum Schreiben alle möglichen Stoffe, auch Fischinnereien, bei Giftkatastrophen verendete Vögel und Kloschüsseln aus Abrissgebäuden, die sie mit altem Speiseöl füllte und in Brand steckte.
    Ihr neues Wort war
Kaputt
. Als sie mir davon erzählte, sagte sie, sie wolle damit eine Botschaft aussenden.
    »An wen?«, fragte ich damals. »Die Leute, die die Galerien besuchen? Die Reichen und Superwichtigen?«
    »Genau die«, sagte sie. »Und an die Frauen der Reichen und Superwichtigen. An die auch.«
    »Das gibt Ärger, Amanda.«
    »Ach Quatsch«, sagte sie. »Die werden’s eh nicht verstehen.«
    Das Projekt würde bestens laufen, sagte sie: Es hatte geregnet, die Wüstenblumen blühten, es gab jede Menge Insekten, und das war gut für die Phase nach dem Sirupgießen. Das K war schon fertig, und mit dem A war sie fast durch. Den Tex-Mexikanern wurde schon langweilig.
    »Dann sind wir schon zu zweit«, sagte ich. »Ich kann’s kaum erwarten, hier rauszukommen.«
    »Zu dritt«, sagte Amanda. »Es sind drei − die

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