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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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nannten sie zähes Leder − sie und Rebecca waren die beiden zähesten Leder. Rebecca war äußerlich zwar lustig, ließ aber niemanden an sich ran. Toby hingegen war von innen und außen wie Leder. »Versuch’s gar nicht erst, Shackleton«, sagte sie immer, obwohl sie mit dem Rücken zu uns stand. Nuala war zu nett zu uns, Toby dagegen zog uns zur Verantwortung, und zu Toby hatten wir mehr Vertrauen: Einem Stein traut man eher als einem Kuchen.
     
    13.
     
    Fünf Blocks vom Garten entfernt wohnte ich mit Lucerne und Zeb in einem Gebäude namens Käsefabrik, weil da früher eine Käsefabrik drin war, und es roch auch ein bisschen danach. Nach dem Käse waren Künstlerlofts drin, aber Künstler gab es keine mehr, und das Haus schien niemandem zu gehören. Inzwischen hatten es die Gärtner übernommen. Sie wohnten gern in Häusern, wo sie keine Miete zahlen mussten.
    Wir wohnten in einem großen Raum mit ein paar abgetrennten Kabinen − eine für mich, eine für Lucerne und Zeb, eine für die violette Biolette, eine für die Dusche. Die Kabinenvorhänge waren aus Plastikstreifen und Klebeband und alles andere als schalldicht. Das war nicht so toll, vor allem in Hinsicht auf die violette Biolette. Die Gärtner sagten zwar immer, die Verdauung sei heilig und an den Geräuschen und Gerüchen, die mit dem Endprodukt des Nahrungsvorgangs verbunden waren, sei nichts Komisches oder Schlimmes, aber von diesen Endprodukten weniger mitzubekommen wäre mir lieber gewesen.
    Wir aßen im großen Zimmer an einem Tisch, der aus einer Tür gezimmert war. Unsere Schüsseln und Töpfe waren Fundstücke − aufgelesen, wie die Gärtner sagten − bis auf wenige robustere Teller und Henkeltassen. Die hatten die Gärtner selbst getöpfert in ihrer Keramikphase, bevor sie beschlossen, dass die Brennöfen zu viel Energie verbrauchen.
    Ich schlief auf einem Futon aus Getreidehülsen und Stroh. Dazu gehörte eine Bettdecke aus Jeanshosen und alten Badezimmermatten, und jeden Morgen musste ich als Erstes das Bett machen, da waren die Gärtner pingelig −
woraus
die Betten gemacht waren, war ihnen anscheinend nicht so wichtig. Dann nahm ich meine Sachen vom Nagel an der Wand und zog mich an. Jeden siebten Tag bekam ich saubere Sachen: Wasser-und Waschmittelverschwendung durch zu häufiges Waschen war bei den Gärtnern verpönt. Meine Sachen waren immer nasskalt, wegen der Feuchtigkeit und weil Trockner bei den Gärtnern verpönt waren. »Gott hat nicht umsonst die Sonne geschaffen«, sagte Nuala immer, als hätte er sie extra zum Trocknen unserer Kleidung gemacht.
    Lucerne lag dann meistens noch im Bett, das war ihr Lieblingsplatz. Damals, als wir noch mit meinem richtigen Vater bei HelthWyzer wohnten, war sie fast nie zu Hause gewesen, aber hier ging sie fast nie raus außer aufs Dach oder zur Wellness-Klinik, um den anderen Gärtnerfrauen beim Klettenwurzelnschälen zu helfen oder um klumpige Bettdecken oder Plastiktütenvorhänge herzustellen oder sonst was.
    Zeb war meistens unter der Dusche:
Auf
tägliches
Duschen
verzich
ten
gehörte zu den vielen Gärtnergeboten, die Zeb nicht beachtete. Unser Duschwasser lief dank der Schwerkraft aus einer Regentonne durch einen Gartenschlauch, die Dusche verbrauchte also keine Energie. Grund genug für Zeb, für sich eine Ausnahme zu machen.
     
    Kümmert doch keine Sau
    Kümmert doch keine Sau
    Wird eh keiner daraus schlau
    Denn es kümmert doch keine Sau
     
    Das war sein Standard. Seine Duschlieder waren alle ungefähr genauso negativ, obwohl er immer fröhlich klang beim Singen, mit seiner russischen Bärenstimmte.
    Zeb gegenüber hatte ich gemischte Gefühle. Er konnte unheimlich sein, aber andererseits war es auch beruhigend, eine so wichtige Person in der Familie zu haben. Zeb war ein Adam − einer der führenden Adams. Das merkte man an der Art, wie die anderen zu ihm aufsahen. Er war groß und massig, mit Biker-Vollbart und langen Haaren − braun mit einzelnen grauen Strähnen −, er hatte ein wettergegerbtes Gesicht und Augenbrauen wie Stacheldraht. Fehlte eigentlich nur noch ein Silberzahn und ein Tattoo. Er war stark wie ein Türsteher und hatte einen ähnlich bedrohlich-freundlichen Gesichtsausdruck, als würde er einem, wenn’s wirklich sein muss, auch das Genick brechen.
    Ab und zu spielte er mit mir Domino. Spielsachen waren bei den Gärtnern Mangelware −
die Natur ist unser Spielplatz
−, und die einzigen Spielsachen, die nicht verpönt waren, waren aus Stoffresten genäht

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