Das Jahr der Flut
gemacht und war nicht wiedergekommen, und dann war ihre Mutter gegangen und hatte Adam Eins erzählt, sie würde die Jungs zu sich holen, sobald sie sich eingerichtet hätte. Was sie aber nie getan hatte.
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Die Gärtnerschule lag in einem anderen Gebäude als der Dachgarten. Es wurde die Wellness-Klinik genannt, denn genau das war früher mal drin gewesen. Da standen immer noch ein paar alte Pappkartons mit Mullbinden, die die Gärtner nach und nach für Bastelprojekte auflasen. Es roch nach Essig: Auf der anderen Seite des Korridors, gegenüber von den Klassenzimmern, befand sich der Raum, in dem die Gärtner ihren Essig herstellten.
Die Bänke in der Wellness-Klinik waren hart; wir saßen in Reihen. Wir schrieben auf Schiefertafeln, die vor Schulschluss abgewischt werden mussten, weil die Gärtner immer sagten, Wörter dürfe man nicht einfach so rumliegen lassen, wo sie unseren Feinden in die Hände fallen konnten. Papier war jedenfalls sündig, weil es aus dem Fleisch der Bäume gemacht wurde.
Wir verbrachten sehr viel Zeit damit, Sachen auswendig zu lernen und im Chor aufzusagen. Zum Beispiel die Geschichte der Gärtner − die ging so:
Jahr Eins der Garten keimt, Jahr Zwei schon mehr Gedeih, Jahr Drei war Pilars Imkerei, Jahr Vier verschlug es Burt nach hier, Jahr Fünf floh Toby aus dem Sumpf, Jahr Sechs Katuro im Gewächs, Jahr Sieben wurd Zeb in unser Paradies vertrieben.
Im Jahr Sieben hätte es eigentlich heißen müssen, dass auch ich gekommen war und meine Mutter Lucerne, und von Paradies konnte keine Rede sein, aber die Gärtner mochten nun mal alles, was sich reimt.
Jahr Acht kam Nuala in der Nacht; Jahr Neun trat Philo bei uns ein.
Ich wünschte mir, dass im Jahr Zehn der Name Ren erwähnt würde, aber ich glaubte nicht ernsthaft daran.
Die anderen Sachen, die wir auswendig lernen mussten, waren schwieriger. In Mathe und Naturwissenschaften war es am schlimmsten. Außerdem mussten wir jeden Namenstag kennen, und jeden Tag war ein Namenstag mindestens eines Heiligen, manchmal sogar mehrerer, oder vielleicht ein Feiertag, also über vierhundert Stück. Dazu noch alles, was die Heiligen gemacht hatten, um Heilige zu werden. Manche waren einfach. Der heilige Yossi Leshem der Schleiereulen − da war die Antwort klar. Und die heilige Dian Fossey wegen der traurigen Geschichte und der heilige Shackleton wegen seiner Heldentaten. Aber manche waren richtig schwer. Wer konnte sich schon den heiligen Bashir Allouse merken oder den heiligen Crick oder das Podocarp-Fest? Podocarp-Fest hatte ich immer falsch, denn was war ein Podocarp? Hörte sich an wie ein Fisch, war aber irgendein Baum aus der Urzeit.
Als Lehrer hatten wir Nuala für die Kleinsten, den Blütenblätter-Chor und in Stoffrecycling, Rebecca in Kulinarik, also Kochen, und Surya in Handarbeit, und Mugi in Kopfrechnen, und Pilar in Bienen und Mykologie, und Toby in Heilkunde, und Burt in Wild-und Gartenbotanik, und Philo in Meditation, und Zeb in Raubtier-Beute-Beziehungen und Tierstrategien. Wir hatten auch noch ein paar andere Lehrer − ab dreizehn hatten wir dann bei Katuro Notfallmedizin und bei Marushka menschliche Fortpflanzungskunde, nachdem wir uns bis dahin immer nur Froschorgane angeguckt hatten − aber das waren so die wichtigsten.
Die Gärtnerkinder hatten für jeden Lehrer einen Spitznamen. Pilar hieß der Schimmelpilz, Zeb hieß Mad Adam, Stuart hieß der Schrauber, weil er die Möbel baute. Mugi hieß Muskel-Mugi, Marushka hieß Marotzka, Rebecca hieß Reklecker, Burt hieß die Bockwurst, wegen seiner Glatze. Toby hieß die Trockenhexe. Hexe, weil sie ständig Sachen zusammenrührte und in kleine Fläschchen goss, und trocken, weil sie so dünn und hart war, nicht zu verwechseln mit Nuala der Feuchthexe, wegen ihrer feuchten Aussprache und dem schwabbligen Hintern und weil man sie so leicht zum Weinen bringen konnte.
Außer den Sprechchören hatten wir auch ein paar fiese, selbst ausgedachte Reime. Shackleton und Crozier und die älteren Jungs fingen immer damit an, aber wir anderen fielen dann alle mit ein:
Feuchte Hexe, dicke Wampe
Dicke fette Wabbelschlampe
Bring sie in die Wurstfabrik,
Dann gibt’s Hexe in Aspik!
Das mit der Wurstfabrik war besonders gemein, weil nach Meinung der Gärtner Fleisch überhaupt obszön war. »Hört auf damit«, sagte Nuala, aber dann schniefte sie, und die älteren Jungs machten das Daumen-hoch-Zeichen.
Trockenhexe Toby ließ sich niemals zum Weinen bringen. Die Jungs
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