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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Geschäfte waren Zwanzigdollarläden und hießen Glitter und Wild Side und Bong’s − solche Namen eben. Da gab es Federhüte, Körpermalstifte, T-Shirts mit Drachen und Totenköpfen und fiesen Sprüchen. Auch Kickriegel und Kaugummi, von dem die Zunge im Dunkeln leuchtete, und Aschenbecher in Form von roten Lippen mit der Aufschrift: Lass Dir Einen Blasen, und Tricknadel-Tattoos, von denen die Evas behaupteten, sie würden einem die Haut bis auf die Adern verätzen. Man bekam da teure Sachen zu Discountpreisen, abgezweigt von den SolarSpaceBoutiquen, sagte Shackie.
    Alles billiger Schund, sagten die Evas. Wenn ihr schon eure Seele verkauft, dann verlangt wenigstens was dafür! Bernice und mir war das egal. Unsere Seelen interessierten uns nicht. Quirlig vor Verlangen, standen wir vor den Schaufenstern.
Was würdest du
dir holen?,
sagten wir.
Den LED-Leuchtstab? Kinderkram. Das Blut-
und
Rosen-Video? Ekliger Jungsscheiß! Die Klebe-Bimplantate mit gefühlsechten Brustwarzen? Ren, du bist echt krank!
    *
    Nachdem Bernice weggegangen war, fiel mir erst mal nichts ein. Ich spielte mit dem Gedanken, einfach nach Hause zu gehen, weil ich mich alleine nicht sehr sicher fühlte. Dann entdeckte ich Amanda auf der anderen Seite der Passage zusammen mit einer Gruppe Tex-Mex-Plebsrattenmädchen.
    Die Mädchen hatten ihre üblichen Sachen an: Miniröcke und Glitzertops, Zuckerwatte-Boas um den Hals, silberne Handschuhe, Schmetterlingshaarspangen. Sie hatten ihre See/H/Öhr-Lekker-Bits, ihre schrillen Handys und Quallenarmbänder und gaben extrem damit an. Sie hatten alle dasselbe Lied auf dem See/H/ Öhr-LekkerBit und tanzten dazu, kreisten mit dem Hintern, präsentierten ihren Busen. Sie sahen aus, als hätten sie schon alles aus jedem Laden und wären extrem gelangweilt davon. Ich beneidete sie wahnsinnig um dieses Aussehen. Ich stand einfach nur da und war neidisch.
    Auch Amanda tanzte, nur besser. Irgendwann hörte sie auf zu tanzen, stellte sich etwas abseits, nahm ihr lila Handy und schrieb eine SMS. Dann starrte sie direkt zu mir rüber, lächelte und winkte mit ihren silbernen Fingern. Das bedeutete Komm her.
    Ich sah mich um, ob niemand guckte. Dann überquerte ich den Gang.
     
    15.
     
    »Willst du mal mein Quallenarmband sehen?«, fragte Amanda, als ich vor ihr stand. Ich machte anscheinend einen traurigen Eindruck mit meiner Heimkindkluft und den kalkigen Fingern. Sie hielt ihr Handgelenk hoch: Da waren sie, die winzig kleinen Quallen, die auf und zu gingen wie schwimmende Blüten. Sie sahen wahnsinnig perfekt aus.
    »Woher hast du das?«, fragte ich. Ich wusste kaum, was ich sagen sollte.
    »Gefilzt«, sagte Amanda. So kamen die Plebsrattenmädchen meistens an ihre Sachen.
    »Wie bleiben die denn am Leben da drin?«
    Sie zeigte auf einen silbernen Knopf am Verschluss des Armbands. »Das ist der Belüfter«, sagte sie. »Der pumpt Sauerstoff rein. Zweimal die Woche tut man Futter rein.«
    »Und wenn man’s vergisst?«
    »Dann fressen sie sich gegenseitig auf«, sagte Amanda. Sie lächelte schwach. »Manche machen das mit Absicht, die tun extra kein Futter rein. Das ist dann wie ’n Minikrieg da drin, und irgendwann hat man nur noch eine einzige Qualle, und die stirbt dann.«
    »Ist ja schrecklich«, sagte ich.
    Amanda lächelte immer noch schwach. »Genau. Deswegen machen sie’s ja.«
    »Die sind total hübsch«, sagte ich sachlich. Ich wollte ihr gefallen und konnte nicht genau sagen, ob schrecklich für sie gut oder schlecht bedeutete.
    »Nimm’s«, sagte Amanda. Sie hielt mir ihr Handgelenk entgegen. »Ich kann mir ein neues filzen.«
    Ich wollte dieses Armband unbedingt haben, aber ich wusste ja gar nicht, wo ich das Futter herbekommen sollte, und dann würden die Quallen sterben. Oder man würde das Armband entdecken, auch wenn ich es noch so gut versteckte, und es würde Ärger geben. »Geht nicht«, sagte ich. Ich wich einen Schritt zurück.
    »Du bist bei
denen
, oder«, sagte Amanda. Es war kein Spott, sie schien einfach nur neugierig zu sein. »Bei den Gottesgärtnern, Schrottesgärtnern. Sollen ja ziemlich viele hier rumlaufen.«
    »Nein«, sagte ich. »Bin ich nicht.« Die Lüge stand mir bestimmt ins Gesicht geschrieben. Es gab jede Menge schäbig gekleideter Leute in diesem Plebs, nur waren sie nicht mit Absicht schäbig gekleidet wie die Gärtner.
    Amanda neigte den Kopf zur Seite. »Komisch«, sagte sie. »Siehst nämlich genauso aus.«
    »Ich wohn da nur«, sagte ich. »Ich bin da nur mehr oder

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