Das Jahr der Flut
Kind?«, fragte Adam Eins. Die anderen Gärtner hatten ihre Arbeit unterbrochen und beäugten Amandas Minirock und die silbernen Finger.
»Ja«, sagte Amanda respektvoll.
»Sie wird einen schlechten Einfluss auf Ren haben«, sagte Nua-la, die sich zu uns gesellt hatte. »Ren ist zu verführbar. Wir sollten sie lieber mit Bernice zusammenlegen.«
Bernice warf mir einen triumphierenden Blick zu:
Das hast du nun davon!
»Von mir aus gern«, sagte Amanda sachlich.
»Nein!«, sagte ich. »Ich hab sie gefunden!« Bernice sah mich wütend an. Amanda schwieg.
Adam Eins betrachtete uns Mädchen. Er wusste so allerhand. »Wir sollten die Entscheidung vielleicht Amanda überlassen«, sagte er. »Soll sie die betreffenden Familien erst einmal kennenlernen. Das wird die Sache vereinfachen. Das wäre doch die gerechteste Lösung, nicht wahr?«
»Zuerst zu mir«, sagte Bernice.
*
Bernice wohnte im Buenavista-Haus. Es gehörte den Gärtnern nicht im eigentlichen Sinne, denn die Gärtner waren gegen Privateigentum, aber irgendwie hatten sie das Haus unter ihre Kontrolle gebracht. »Luxuslofts für moderne Singles« stand unten in verblichenen Goldbuchstaben, aber von Luxus war natürlich keine Rede: Bei Bernice in der Wohnung war die Dusche verstopft, die Kacheln in der Küche waren gesprungen und abgesplittert, bei Regen sickerte es durch die Decke, und das Bad war glitschig vor Schimmel.
Zu dritt betraten wir die Halle und gingen vorbei an der wachhabenden Gärtnertante − die mit irgendeinem verknäulten Makrameeprojekt beschäftigt war und uns kaum zur Kenntnis nahm. Bis zu Bernice mussten wir sechs Stockwerke hochlaufen, weil Fahrstühle bei den Gärtnern verpönt waren außer für alte Leute und Querschnittsgelähmte. Im Treppenhaus lagen verbotene Sachen − Spritzbesteck, gebrauchte Kondome, Löffel und Kerzenstümpfe. Die Gärtner sagten, Plebsgauner, Schläger und Zuhälter kämen nachts ins Haus, um schlimme Partys zu feiern; wir hatten aber noch nie welche gesehen, obwohl wir einmal Shackie und Croze und ihre Kumpel dort beim Weinrestetrinken erwischt haben.
Bernice hatte ihre eigene Schlüsselkarte; sie schloss auf und ließ uns rein. In der Wohnung roch es nach ungewaschenen Kleidern, die jemand unter einer tropfenden Spüle vergessen hatte, oder nach den verstopften Nebenhöhlen fremder Kinder oder nach Windeln. Durch die anderen Räume wehte aber noch ein zusätzlicher Geruch − ein durchdringender würziger, erdiger Duft. Vielleicht kam er durch die Heizungsventilatoren und hatte mit dem Pilzanbau der Gärtner im Keller zu tun.
Wobei dieser Geruch − diese Gerüche − alle von Bernices Mutter Veena auszugehen schienen, die reglos auf dem abgewetzten Plüschsofa saß und an die Wand starrte. Sie trug ihr übliches sackartiges Kleid; auf ihrem Schoß lag eine alte gelbe Babydecke; ihre farblosen Haare hingen schlaff zu beiden Seiten ihres runden, weichen, weißlichen Gesichts herunter; ihre Hände waren locker ineinander verschlungen, als wären ihre Finger gebrochen. Vor ihr auf dem Fußboden standen verschiedene schmutzige Teller. Vee-na kochte nicht: Sie aß das, was sie von Bernices Vater vorgesetzt bekam; oder sie aß überhaupt nichts. Sie räumte aber auch nie auf. Sie redete kaum, auch jetzt nicht. Immerhin flackerte ihr Blick, als wir an ihr vorbeigingen, vielleicht sah sie uns ja.
»Was ist denn mit ihr?«, flüsterte Amanda mir zu.
»Sie ist in der Brache«, flüsterte ich zurück.
»Echt?«, flüsterte Amanda. »Sie sieht total bekifft aus.«
Meine eigene Mutter behauptete, Bernices Mutter sei »depressiv«. Aber meine Mutter war keine echte Gärtnerin, wie mir Bernice andauernd zu verstehen gab, denn eine echte Gärtnerin würde niemals
depressiv
sagen. Wenn sich Leute so benahmen wie Bernices Mutter, glaubten die Gärtner, dass sie eine Phase der Brache durchliefen − dass sie ruhten, sich zur spirituellen Einsicht in sich selbst zurückgezogen hatten, ihre Energie bündelten, um mit einem Mal wie eine Frühlingsblüte zu erblühen. Es sah nur so aus, als wären sie tatenlos. Manche Gärtner konnten sehr lange in der Brache bleiben.
»Hier wohne ich«, sagte Bernice.
»Wo würde ich schlafen?«, fragte Amanda.
Wir sahen uns gerade Bernices Zimmer an, als die Bockwurst die Wohnung betrat. »Wo ist denn mein kleines Mädchen?«
»Nicht antworten«, sagte Bernice. »Macht die Tür zu.« Wir hörten ihn durchs große Zimmer gehen; dann kam er zu uns rein und hob Bernice hoch. Da stand
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