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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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er, die Hände unter ihren Achseln. »Wo ist denn mein kleines Mädchen?«, sagte er wieder, und ich zuckte zusammen. Das hatte ich ihn schon öfter machen sehen, nicht nur mit Bernice. Er hatte einfach einen Fimmel für Mädchenachselhöhlen. Wenn man gerade beim Schneckenumsiedeln war, drängte er einen hinter den Bohnenstangen in die Ecke und spielte den Helfer. Schwupps, da kamen sie auch schon, die Hände. Was für eine eklige Bockwurst.
    Bernice schaute grimmig und wand sich hin und her. »Ich bin nicht dein kleines Mädchen«, sagte sie, was heißen konnte:
Ich bin nicht klein
oder
ich bin nicht dein Mädchen
oder sogar
ich bin kein Mädchen.
Burt hielt das für einen Witz.
    »Wo ist denn dann mein kleines Mädchen?«, wiederholte er klagend.
    »Lass mich runter«, rief Bernice. Sie tat mir leid, und gleichzeitig war ich froh − denn egal, wie ich zu Zeb stehen mochte, zumindest war er mir nicht peinlich.
    »Jetzt würde ich mir gern eure Wohnung ansehen«, sagte Amanda. Also gingen wir wieder zusammen runter und ließen Bernice zurück, die rotgesichtiger und wütender aussah als je zuvor. Ich fühlte mich schlecht deswegen, aber nicht schlecht genug, um Amanda aufzugeben.
    *
    Lucerne war alles andere als erfreut, als sie erfuhr, dass Amanda unser neues Familienmitglied war, aber ich erzählte ihr, Adam Eins habe es angeordnet; was hätte sie also tun sollen? »Sie wird bei dir im Zimmer schlafen müssen«, sagte sie ärgerlich.
    »Das macht ihr nichts aus«, sagte ich. »Stimmt’s, Amanda?«
    »Aber nein«, sagte Amanda. Sie konnte sehr höfliche Manieren an den Tag legen, als wäre sie es, die einem den Gefallen tat. Lucerne brachte es richtig auf die Palme.
    »Und diese schrillen Klamotten wird sie wegtun müssen«, sagte Lucerne.
    »Aber die sind doch noch gar nicht aufgetragen!«, sagte ich unschuldig. »Die können wir nicht einfach so wegschmeißen! Das wäre Verschwendung!«
    »Wir verkaufen sie«, sagte Lucerne mit gepresster Stimme. »Das Geld können wir jedenfalls gebrauchen.«
    »Amanda sollte das Geld bekommen«, sagte ich. »Schließlich sind es ihre Sachen.«
    »Schon gut«, sagte Amanda leise, aber würdevoll. »Sie haben mich ja nichts gekostet.« Dann gingen wir zu mir in die Kabine und saßen auf dem Bett und lachten hinter vorgehaltener Hand.
    Als Zeb am Abend nach Hause kam, sagte er erst mal gar nichts. Dann aßen wir alle zusammen, und Zeb kaute an seinem SojaBits-Bohnenauflauf und beobachtete Amanda mit ihrem anmutigen Hals und den silbernen Fingern und ihren auffallend guten Tischmanieren. Sie hatte noch immer ihre Handschuhe an. Schließlich sagte er zu ihr: »Du bist wohl ’ne ganz Ausgebuffte, was?« Es war dieselbe freundliche Stimme, mit der er nach dem Domino »Na also« sagte.
    Lucerne, die ihm gerade eine zweite Portion auftrug, erstarrte mitten in der Bewegung, den großen Löffel in die Luft gestreckt wie irgendeine Art Metalldetektor. Amanda blickte ihm mit großen Augen offen ins Gesicht. »Was meinen Sie, bitte?«
    Zeb lachte. »Sehr gekonnt«, sagte er.
     
    17.
     
    Amanda bei mir wohnen zu haben war so, als hätte ich eine Schwester, nur besser. Sie hatte inzwischen Gärtnerkleidung bekommen, also sah sie aus wie wir alle; und ziemlich bald roch sie auch wie wir alle.
    In der ersten Woche führte ich sie herum. Ich nahm sie mit in den Essigraum, in den Handarbeitsraum und mit rauf in den Fitnessraum mit den Ewigen Laufbändern. Mugi führte da die Aufsicht; wir nannten ihn immer den Muskelmann, weil er nur noch einen Muskel hatte. Aber Amanda freundete sich mit ihm an. Sie freundete sich mit allen an, indem sie sie nach den genauen Anweisungen fragte. Burt die Bockwurst erklärte ihr, wie man die Schnecken aus dem Garten umsiedelte, indem man sie übers Gelände in den Verkehr warf, wo sie angeblich davonkriechen und ein neues Zuhause finden würden, wobei mir klar war, dass sie in Wirklichkeit überfahren wurden. Katuro der Klempner, der tropfende Wasserhähne reparierte und sich um die Wasserversorgung kümmerte, zeigte ihr, wie die Rohrleitungen funktionierten.
    Philo der Smog redete nicht viel mit ihr; er lächelte sie nur oft an. Die älteren Gärtner sagten, er hätte die Sprache transzendiert und würde mit dem Heiligen Geist reisen, wobei Amanda meinte, er sei einfach nur bekifft. Stuart der Schrauber, der aus Sperrmüll unsere Möbel baute, war kein großer Menschenfreund, aber für Amanda hatte er was übrig. »Das Mädchen hat ein Auge für Holz«, sagte

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