Das Jahr der Flut
er immer.
Nähen war nicht Amandas Ding, aber sie tat so als ob, und Surya lobte sie. Rebecca nannte sie
Herzchen
und rühmte ihren Geschmackssinn, und Nuala geriet in Verzückung über ihren Gesang im Blütenblätter-Chor. Selbst Trockenhexe Tobys Miene hellte auf, wenn Amanda ankam. Sie war die härteste Nuss, aber Amanda interessierte sich urplötzlich für Pilze und half der alten Pilar, Bienen auf die Honigglasetiketten zu stempeln, und das freute Toby, auch wenn sie es nicht zeigen wollte.
»Was schleimst’n du so?«, fragte ich Amanda.
»So findet man Sachen raus«, sagte sie.
*
Wir erzählten einander sehr viel. Ich erzählte ihr von meinem Vater und unserem Haus im HelthWyzer-Komplex und wie meine Mutter ihn für Zeb verlassen hatte.
»Ich wette, die war total heiß auf den«, sagte Amanda. Das alles flüsterten wir abends in unserer Kabine, während Zeb und Lucerne direkt nebenan waren und es schwerfiel, ihre Sexgeräusche zu überhören. Bevor Amanda zu uns kam, war mir das alles extrem peinlich, aber inzwischen fand ich es lustig, weil Amanda es lustig fand.
Amanda erzählte mir von der Dürre in Texas − wie ihre Eltern ihre Happicuppa-Kaffee-Filiale verloren hatten und wie sie ihr Haus nicht loswurden, weil es keiner kaufen wollte, und dass es keine Arbeit mehr gab und wie sie in einem Flüchtlingslager mit alten Wohnwagen und lauter Tex-Mexikanern landeten. Dann wurde ihr Wohnwagen bei einem der Orkane zerstört, und ihr Vater wurde von einem herumfliegenden Stück Metall getötet. Sehr viele Menschen ertranken, aber sie und ihre Mutter klammerten sich an einen Baum und wurden von ein paar Männern im Ruderboot gerettet. Es waren Diebe auf Beutezug, sagte Amanda, aber sie versprachen, Amanda und ihre Mutter an Land und zu einer Unterkunft zu bringen, wenn sie bereit wären zu tauschen.
»Was denn tauschen?«, fragte ich. »Tauschen, halt«, sagte Amanda.
Die Unterkunft war ein Footballstadion voller Zelte. Überall wurde gehandelt: Für zwanzig Doller machten die Leute alles, sagte Amanda. Dann wurde ihre Mutter vom Trinkwasser krank, Amanda aber nicht, weil sie gegen Softdrinks tauschte. Und es gab keine Medikamente, also starb ihre Mutter. »Die Leute haben sich zu Tode geschissen«, sagte Amanda. »Das hättest du mal riechen sollen.«
Danach schlich sich Amanda davon, weil immer mehr Leute krank wurden und niemand die Scheiße und den Müll entsorgte oder Lebensmittel brachte. Sie änderte ihren Namen, weil sie auf keinen Fall wieder in diesem Footballstadion landen wollte: Die Flüchtlinge sollten nämlich für verschiedene Arbeiten eingeteilt werden. »Es gibt nichts umsonst«, sagten die Leute: Man musste für alles zahlen, so oder so.
»Wie war er denn vorher?«, fragte ich. »Dein Name.«
»Totaler Proletenname. Barb Jones«, sagte Amanda. »So stand’s in meinem Ausweis. Aber jetzt hab ich keinen mehr. Das heißt, ich bin unsichtbar.« Auch das bewunderte ich an ihr − ihre Unsichtbarkeit.
Zusammen mit Tausenden anderen marschierte Amanda nach Norden. »Einmal hab ich versucht zu trampen, aber nur einer nahm mich mit, so ’n Typ, der angeblich ’ne Hühnerfarm hatte«, sagte sie. »Der hat mir zwischen die Beine gefasst; man weiß schon, dass so was kommt, wenn sie auf einmal so komisch atmen. Ich hab ihm die Daumen in die Augen gebohrt und bin abgehauen.« Bei ihr klang das so, als würde man in der Außenhölle andauernd den Leuten seine Daumen in die Augen bohren. Ich wollte das auch können, aber ich hätte wahrscheinlich sowieso nicht die Nerven dazu gehabt.
»Und dann musste ich an der Mauer vorbei«, sagte sie. »An welcher Mauer?«
»Guckst du keine Nachrichten? Die Mauer, die sie wegen der Tex-Flüchtlinge bauen, weil der Zaun allein nicht reicht. Da stehen Männer mit Spraygewehren − das ist ’ne CorpSeCorps-Mauer. Aber sie können nicht jeden Zentimeter patrouillieren − die Tex-Mex-Kinder kennen die ganzen Tunnel, die haben mir da durchgeholfen.«
»Du hättest erschossen werden können«, sagte ich. »Und dann?«
»Dann hab ich verschiedene Jobs gemacht, bis ich am Ende hier war. Hab dafür zu essen gekriegt und so. Hat ’ne Weile gedauert.«
An ihrer Stelle hätte ich mich einfach in einen Graben gelegt und mich totgeheult. Aber Amanda meint, wenn man irgendwas unbedingt will, dann findet sich auch ein Weg. Kapitulieren ist Zeitverschwendung, sagt sie.
*
Ich hatte die Befürchtung, dass es Ärger geben könnte mit den anderen Gärtnerkindern:
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