Das Jahr der Flut
nichts am Hut hatten. Treue wurde so lange befürwortet, wie ein Paar zusammen war, aber da es auf eine Hochzeit zwischen dem ersten Adam und der ersten Eva keinerlei Hinweise gab, hatten in ihren Augen weder Geistliche anderer Religionen noch weltliche Amtsinhaber das Recht, Menschen miteinander zu vermählen. Von Seiten des CorpSeCorps dagegen wurde die offizielle Ehe vor allem deswegen befürwortet, um an Irisbild, Fingerabdruck und DNA der Leute zu kommen und sie besser aufspüren zu können. Sagten zumindest die Gärtner, und diese Behauptung gehörte zu den wenigen, die Toby ohne weiteres unterschrieben hätte.
In Gärtnerkreisen waren Hochzeiten eine denkbar einfache Sache. Beide Seiten mussten vor Zeugen ihre Liebe füreinander bekannt geben. Sie tauschten grüne Blätter als Symbol des Wachstums und der Fruchtbarkeit aus und sprangen über ein Lagerfeuer als Symbol des Universums, erklärten sich anschließend als verheiratet und gingen ins Bett. Bei Scheidungen lief das Ganze umgekehrt ab: Der öffentlichen Bekanntgabe der Nicht-Liebe und Trennung folgte der Austausch toter Zweige und ein schneller Hüpfer über einen Haufen kalter Asche.
Eine der anhaltenden Klagen Lucernes − die garantiert wieder aufkäme, wenn Toby nicht schnell genug den Schlafmohn zur Hand hatte − drehte sich darum, dass Zeb sie nie zur Blatt-und-Feuer-Zeremonie aufgefordert hatte. »Ich glaube zwar nicht, dass es irgendetwas zu sagen hat«, sagte sie. »Aber er glaubt doch wohl daran, er gehört ja schließlich dazu, oder? Und da er nicht will, heißt das doch, er ist bindungsscheu. Meinst du nicht auch?«
»Ich weiß eigentlich nie, was andere Leute denken«, sagte Toby immer.
»Aber wenn du an meiner Stelle wärst, hättest du dann nicht das Gefühl, er scheut die Verantwortung?«
»Warum fragst du ihn nicht selbst?«, sagte Toby dann. »Frag ihn doch, warum er dir keinen …« War Heiratsantrag hier das richtige Wort?
»Er würde sich nur aufregen«, seufzte Lucerne dann. »Er hat sich so verändert, seit wir uns kennengelernt haben.«
Dann durfte sich Toby die Geschichte von Lucerne und Zeb anhören − die Lucerne zu erzählen niemals müde wurde.
23.
Die Geschichte ging so. Lucerne hatte Zeb im AnuYu-Spa kennengelernt − ob Toby das AnuYu ein Begriff sei? Ach so. Na ja, da könne man sich fantastisch entspannen und verschönern lassen. Das war damals direkt nach dem Bau, und der Landschaftsgarten wurde gerade angelegt. Die Brunnen, die Gärten, die Sträucher. Die Lumirosen. Lumirosen seien doch wunderschön, oder? Toby habe noch nie welche gesehen? Ach so. Na ja, vielleicht könne man ja irgendwann mal …
Lucerne stand immer gern im Morgengrauen auf, sie war damals Frühaufsteherin, sie sah gern die Sonne aufgehen; da sie schon immer ein ausgesprochen feines Gespür für Farbe und Licht hatte, hatte sie in jedem Haus − also in jedem von ihr eingerichteten Haus − immer sehr viel Wert auf Ästhetik gelegt. Mindestens ein Zimmer musste in den Farben des Sonnenaufgangs gehalten sein − das war dann immer ihr Sonnenzimmer.
Und sie war rastlos, damals. Wirklich rastlos, denn ihr Mann war kalt wie eine Krypta, und sie schliefen nicht mehr miteinander, weil er viel zu beschäftigt war mit seiner Karriere. Und sie war ein Genussmensch, schon immer gewesen, und ihre ganze Sinnenfreude welkte dahin. Und das war ungesund, vor allem für das Immunsystem. Sie hatte allerhand Studien darüber gelesen!
So strich sie also leise weinend bei Morgengrauen in ihrem rosa Kimono übers Gelände und spielte mit dem Gedanken, sich von ihrem HelthWyzer-Ehemann scheiden zu lassen oder zumindest zu trennen, obwohl ihr klar war, dass es für Ren nicht das Beste wäre, die ja noch so klein war damals und ihren Vater so gern hatte, wobei er auch Ren nicht sonderlich viel Beachtung geschenkt hätte. Und plötzlich, im immer heller werdenden Licht, war da Zeb, wie ein, na ja, wie eine Vision − allein, beim Pflanzen eines Lumirosenstrauchs. Diese Rosen, die im Dunkeln leuchteten, der Duft war ja so himmlisch, ob Toby schon mal daran gerochen habe, wahrscheinlich nicht, denn die Gärtner waren ja ums Verrecken gegen alles Neue, aber diese Rosen waren wirklich hübsch.
Da war also ein Mann, der im Morgengrauen auf der Erde kniete und aussah, als hätte er einen Strauß glühender Kohlen in der Hand.
Welche rastlose Frau hätte einem Mann mit einer Schaufel in der einen Hand und einem glühenden Rosenstrauch in der anderen und
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