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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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bluten, aber er war sehr blass. Toby holte ihm einen Schluck Sumach.
    Das Straßenkampf-Glas der Plebsler, sagte Katuro, sei berüchtigt keimhaltig, also solle man die Maden lieber gleich einsetzen, um Blutvergiftung zu vermeiden. Pilar nahm eine Pinzette, um ihre vorrätigen Maden in ein zusammengefaltetes Stück Mullbinde zu setzen, die sie Zeb über die Wunde klebte. Wenn sich die Maden durch den Mull gefressen hatten, würde Zebs Wunde genug eitern für ihren Geschmack.
    »Es muss immer jemand Madenwache halten«, sagte Pilar. »24 Stunden am Tag. Damit unser Zeb nicht mit Haut und Haaren verschlungen wird.«
    »Oder die Maden von mir«, sagte Zeb. »Landgarnelen. Dieselbe Körperstruktur. Gebraten sehr zu empfehlen. Sehr proteinreich.« Er hielt sich wacker, aber seine Stimme war schwach. Die ersten fünf Stunden saß Toby bei ihm. Adam Eins hatte von Zebs Unfall erfahren und kam zu Besuch. »Ich frage am besten gar nicht nach«, sagte er milde.
    »Es waren einfach zu viele auf einmal«, sagte Zeb. »Immerhin waren drei davon krankenhausreif.«
    »Und darauf bist du auch noch stolz«, sagte Adam Eins. Zeb runzelte die Stirn.
    »Fußsoldaten gehen zu Fuß«, sagte er. »Deswegen trag ich Stiefel.«
    »Da reden wir nochmal drüber, sobald es dir besser geht«, sagte Adam Eins.
    »Es geht mir gut«, knurrte Zeb.
    Nuala wuselte herbei, um Toby abzulösen. »Hast du ihm schon eine Tasse Weidentee gekocht?«, fragte sie. »Ach je, diese Maden sind ja einfach furchtbar! So, jetzt lass dir mit dem Kopfkissen helfen! Können wir das Fliegengitter nicht ein Stück hochziehen? Ein kleiner Luftzug würde nicht schaden! Das verstehst du also unter Gewaltminimierung, Zeb! Du bist mir ja einer!« Sie schnatterte in einem fort, und Toby hätte ihr am liebsten einen Tritt verpasst.
    Danach kam Lucerne, mit Tränen in den Augen. »Wie schrecklich. Was ist denn passiert, wer macht denn …«
    »Oh, er war ein ganz böser Junge«, sagte Nuala verschwörerisch. »Stimmt’s, Zeb? Sich mit den Plebslern anzulegen«, flüsterte sie verzückt.
    »Toby«, sagte Lucerne, ohne Nuala zu beachten, »wie ernst ist es? Wird er … ist er …« Das Ganze erinnerte an die Sterbebettszene in irgendeiner alten Fernsehschmonzette.
    »Alles bestens«, sagte Zeb. »Jetzt zisch ab und lass mich in Ruhe.«
    Er wolle nicht, dass irgendwer an ihm herumdoktere, sagte er. Außer Pilar. Und Katuro, wenn’s unbedingt sein müsse. Und Toby, denn die halte wenigstens den Mund. Wütend und in Tränen aufgelöst, ging Lucerne, aber Toby konnte leider auch nichts daran ändern.
    *
    Gerüchte machten bei den Gärtnern täglich die Runde. Die älteren Jungs erfuhren bald von Zebs Schlacht − inzwischen war schon eine Schlacht daraus geworden −, und am nächsten Nachmittag kamen Shackleton und Crozier bei ihm vorbei. Er schlief − Toby hatte ihm heimlich etwas Schlafmohn in seinen Weidentee getan −, also schlichen sie auf Zehenspitzen um sein Lager herum, sprachen mit gedämpfter Stimme und versuchten einen Blick auf seine Verletzungen zu werfen.
    »Zeb hat sogar schon mal Bärenfleisch gegessen«, sagte Shackleton. »Als Pilot bei der Bärenbrücke, damals, als die Leute versucht haben, die Eisbären zu retten. Er ist mit dem Flugzeug abgestürzt und musste zu Fuß gehen − er war monatelang unterwegs!« Die älteren Jungs kannten einige solcher Heldengeschichten über Zeb. »Ein gehäuteter Bär sieht genauso aus wie ein Mensch, hat er gesagt.«
    »Er hat seinen Copiloten gegessen. Aber erst, nachdem er tot war«, sagte Crozier.
    »Können wir mal die Maden sehen?« »Hat er ’ne Blutvergiftung?«
    »Gang! Grän!«, rief der kleine Oates, der seinen Brüdern hinterhergedackelt war.
    »Halt die Fresse, Oatie!« »Aua! Du Fleischatem!«
    »Verschwindet«, sagte Toby. »Adam Sieben braucht seine Ruhe.«
    Adam Eins war nach wie vor überzeugt, dass aus Shackleton und Crozier und dem kleinen Oates noch einmal anständige Menschen würden, aber Toby hatte da ihre Zweifel. Eigentlich sollte ja Philo der Smog ihr Ersatzvater sein, aber der schwebte allzu oft in anderen Sphären.
    *
    Pilar übernahm die Nachtwachen: Sie schlafe ohnehin wenig, sagte sie. Nuala meldete sich freiwillig für vormittags. Toby übernahm die Nachmittage. Stündlich sah sie nach den Maden. Zeb hatte kein Fieber und fing auch nicht wieder an zu bluten.
    Nachdem die Heilung eingesetzt hatte, wurde er unruhig, und Toby spielte mit ihm erst Domino, dann Cribbage und schließlich Schach. Das

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