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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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voneinander lassen.
    Und als ihre Behandlungen vorbei waren und sie wieder in ihrem sogenannten Zuhause war, hatte sie sich unter verschiedenen Vorwänden aus dem Komplex gestohlen − Besorgungen, meistens, denn was es in den Komplexen zu kaufen gab, war so berechenbar −, um sich heimlich in den Plebs mit ihm zu treffen − was irrsinnig aufregend war, anfangs! −, und es waren immer so lustige Treffpunkte, in schmuddeligen kleinen Love-Hotels und stundenweise gemieteten Zimmern, etwas ganz anderes als die zugeknöpfte Welt des HelthWyzer-Komplexes; und als er dann ganz plötzlich verreisen musste − es hatte irgendwie Ärger gegeben, die Einzelheiten hatte sie nie genau verstanden, jedenfalls musste er dringend verschwinden −, und, na ja, eine Trennung hätte sie einfach nicht ertragen.
    Also hatte sie ihren sogenannten Ehemann verlassen, wobei es ihm ja recht geschah, lethargisch, wie er war. Und sie waren von einer Stadt zur nächsten, von einer Wohnwagensiedlung zur nächsten gezogen, und Zeb hatte sich eine Schwarzmarkt-Ausrüstung für Fingerabdrücke und DNA und so weiter besorgt; und dann, als es wieder sicher war, waren sie zurückgekehrt, hierher zu den Gärtnern. Denn offenbar war Zeb die ganze Zeit Gärtner gewesen. Sagte er zumindest. Jedenfalls schien er Adam Eins recht gut zu kennen. Sie waren zuammen zur Schule gegangen. Oder so ähnlich.
    Also ein Sachzwang, dachte Toby. Zeb war ein ehemaliger Konzernmitarbeiter auf der Flucht; vielleicht hatte er etwas aus Firmenbesitz auf den Schwarzmarkt getragen, irgendeine Nanotechnologie oder einen Genspleiß. So etwas konnte fatale Folgen haben, wenn man erwischt wurde. Und da Lucerne sein Gesicht und seinen früheren Namen erkannt hatte, hatte er ihr die Sinne vernebeln und sie mitnehmen müssen, um nicht von ihr verraten zu werden. Sonst hätte er sie umbringen müssen. Zurücklassen hätte er sie nicht können: Sie hätte sich geschmäht gefühlt und die CorpSeCorps-Hunde auf ihn gehetzt. Dennoch, welch ein Risiko. Die Frau war eine selbstgebastelte Autobombe: Man konnte nie wissen, wann sie hochgehen und wen sie dabei in den Tod reißen würde. Toby fragte sich, ob Zeb ihr nicht irgendwann am liebsten einen Korken in die Kehle gestopft und sie in den nächsten Boilermüllcontainer geschoben hätte.
    Aber vielleicht liebte er sie ja, dachte Toby. Wobei die Vorstellung schwerfiel. Jedenfalls war es wohl irgendwann mit der Liebe vorbei gewesen, denn zu ihrem Erhalt tat er reichlich wenig.
    »Hat sich dein Ehemann denn nie auf die Suche nach dir gemacht?«, hatte Toby gefragt, als sie die Geschichte zum ersten Mal hörte. »Der bei HelthWyzer?«
    »Ich weigere mich, diesen Mann noch als meinen Ehemann zu bezeichnen«, sagte sie beleidigt.
    »Entschuldigung. Dein damaliger Ehemann. Hat das CorpSeCorps − hattest du ihm keine Nachricht hinterlassen?« Käme man Lucerne auf die Spur, würde sie auf direktem Wege zu den Gärtnern führen − nicht nur zu Zeb, sondern auch zu Toby und ihrer früheren Identität. Was unschöne Folgen für sie haben könnte: Das CorpSeCorps hatte nicht die Angewohnheit, unbeglichene Rechnungen zu den Akten zu legen, und was wäre, wenn man ihren Vater inzwischen ausgegraben hatte?
    »Warum sollten sie dafür Geld ausgeben?«, sagte Lucerne. »Ich bin für diese Leute nicht wichtig. Und was meinen früheren Ehemann angeht« − sie verzog das Gesicht zu einem Grinsen −, »hätte er mal besser eine Gleichung geheiratet. Vielleicht ist ihm noch gar nicht aufgefallen, dass ich weg bin.«
    »Und was ist mit Ren?«, fragte Toby. »So ein liebes Mädchen. Er vermisst sie doch sicher.«
    »Ach«, sagte Lucerne. »Ja. Das wird ihm aufgefallen sein.«
    Toby hätte Lucerne gerne gefragt, warum sie Ren denn nicht einfach bei ihrem Vater gelassen habe. Sie ihm wegzunehmen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen − das sei doch kleingeistig und gehässig gewesen. Aber die Frage würde Lucerne nur verärgern − es könnte ja Kritik mitschwingen.
    *
    Zwei Blocks vor der Käsefabrik geriet Toby in eine Plebsratten-Schlägerei − die Asian Fusions gegen die Blackened Redfish, umringt von ein paar brüllenden Lintheads. Diese Kinder waren gerade mal sieben oder acht, aber es waren sehr viele, und als sie sie entdeckten, hörten sie auf, einander anzubrüllen, und richteten ihr Gebrüll stattdessen gegen sie.
Schrottesgärtner, Schrottesgärtner, weiße Schlampe! Nehmt ihr die Schuhe weg!
    Sie drehte sich mit dem Rücken zur Mauer und rüstete

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