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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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auflesen. Dennoch flossen einige Tränen wegen einer verlorenen Kristallglasvase, und ein merkwürdiger Aufstand erhob sich wegen eines defekten Waffeleisens von sentimentalem Wert.
    Anschließend bat Adam Eins alle Anwesenden, kein Wort mehr über Burt und das Buenavista-Haus und vor allem nicht über das CorpSeCorps zu verlieren. »Der Feind könnte mithören«, hatte es geheißen. Dergleichen hörte man immer öfter aus seinem Mund. Toby fragte sich gelegentlich, ob er paranoid war.
    »Nuala, Toby«, hatte er gesagt, als sich die Versammlung auflöste. »Einen Augenblick. Könntest du mal dort vorbeischauen?«, sagte er zu Zeb. »Auch wenn ich nicht glaube, dass noch irgendetwas zu holen ist.«
    »Wohl kaum«, sagte Zeb munter. »Aber ich guck’s mir trotzdem an.«
    »Zieh deine Plebslerkleidung an«, sagte Adam Eins.
    Zeb nickte. »Die SolarBiker-Kluft.« Er schlenderte in Richtung Feuerleiter davon.
    »Meine liebe Nuala«, sagte Adam Eins. »Könntest du nicht ein wenig Licht werfen auf das, was Veena über dich und Burt verbreitet hat?«
    Nuala begann zu schniefen. »Ich weiß von nichts«, sagte sie. »Da ist nichts dran! Es ist so respektlos! Es tut so weh! Wie kann sie nur so etwas denken von mir und … und Adam Dreizehn?«
    So schwer ist das nicht, dachte Toby, so wie du dich an jeden Kerl ranschmeißt. Nuala flirtete mit allem, was Hosen trug. Aber während dieses Flirtens war Veena in der Brache gewesen, was also hatte ihren Verdacht erregt?
    »Das sagt doch auch niemand, meine Liebe«, sagte Adam Eins. »Veena muss einem Gerücht aufgesessen sein − vielleicht von einem Spitzel unserer Feinde, der Zwietracht unter uns säen will. Ich werde mich bei den Buenavista-Pförtnern erkundigen, ob Veena in den letzten Tagen irgendwelche ungewöhnlichen Besucher hatte. Und jetzt, liebe Nuala, solltest du deine Tränen trocknen und dich in den Handarbeitsraum begeben. Unsere Versammlung der Vertriebenen wird allerhand aus Stoff benötigen, Bettdecken zum Beispiel, und ich weiß, dass du uns in dieser Sache gern behilflich bist.«
    »Danke«, sagte Nuala innig. Sie warf ihm ihren Du-verstehst-mich-Blick zu und eilte in Richtung Feuerleiter davon.
    »Meine liebe Toby. Könntest du dir womöglich vorstellen, Burts Pflichten zu übernehmen?«, fragte Adam Eins, als Nuala weg war. »Gartenbotanik, essbare Kräuter. Wir würden dich natürlich zur Eva machen. Das hatte ich schon lange vor, aber Pilar schätzt dich so als Assistentin, und ich denke, du bist in dieser Rolle auch glücklich. Ich wollte dich ihr nicht entreißen.«
    Toby dachte nach. »Ich wäre sehr geehrt«, sagte sie schließlich. »Aber das kann ich nicht annehmen. Eine richtige Eva zu sein … das wäre Heuchelei.«
    Ein ähnlicher Augenblick der Erleuchtung, wie sie ihn an ihrem ersten Tag bei den Gärtnern erlebt hatte, war ihr nie mehr widerfahren, obwohl sie sich oft genug darum bemüht hatte. Sie hatte Einkehrtage und Isolationswochen gehalten, sie hatte Vigilien gefeiert, sie hatte die erforderlichen Pilze und Elixiere eingenommen, aber nie eine nennenswerte Offenbarung gehabt. Visionen ja, aber keine von Bedeutung. Oder keine Bedeutung, die sie hätte entschlüsseln können.
    »Heuchelei?«, sagte Adam Eins und runzelte die Stirn. »Inwiefern?«
    Toby wählte ihre Worte mit Bedacht: Sie wollte ihn nicht verletzen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles davon glaube.« Das war stark untertrieben: Sie glaubte an kaum etwas davon.
    »In manchen Religionen geht der Glaube den Taten voran«, sagte Adam Eins. »In unserer aber gehen die Taten dem Glauben voran. Du verhältst dich die ganze Zeit so, als wenn du glaubtest, liebe Toby.
Als
wenn
− diese beiden Wörter sind uns sehr wichtig. Lebe weiterhin danach, und der Glaube kommt mit der Zeit.«
    »Aber das ist doch keine Voraussetzung«, sagte Toby. »Eine Eva sollte doch …«
    Adam Eins seufzte. »Wir sollten vom Glauben nicht zu viel erwarten«, sagte er. »Der Intellekt ist fehlbar, und wir können nur dunkel durch einen Spiegel sehen. Jede Religion ist nur ein Schatten Gottes. Die Schatten Gottes aber sind nicht Gott.«
    »Ich würde ungern ein schlechtes Vorbild sein wollen«, sagte Toby. »Kinder spüren sofort, wenn man sich verstellt − sie werden merken, dass ich nicht aus Überzeugung handle. Das könnte deinen Zielen abträglich sein.«
    »Deine Zweifel machen mir Mut«, sagte Adam Eins. »Sie beweisen, wie vertrauenswürdig du bist. Für jedes Nein gibt es ein Ja! Tust du mir nur

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