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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Shackie empfand. Ich fragte mich aber schon, ob das damals seine Hand auf meinem Hintern gewesen war, an dem Abend, als ich im Holodrucker ohnmächtig wurde. Aber wohl doch eher die von Croze.
    »Wie geht’s Croze?«, fragte ich Shackie. »Und Oates?«
    »Gut«, murmelte Shackie. »Wann kommst du zurück? Croze vermisst dich total. Gang, weißt du noch?«
    »Grün«, sagte ich. »Ganggrün.« Ich war überrascht, dass er immer noch dieses kindische alte Passwort in Gebrauch hatte, aber vielleicht hatte Amanda ihn ja dazu angestiftet, damit ich mich nicht ausgeschlossen fühlte.
    Als Shackie nicht mehr auf dem Display war, erzählte Amanda, dass sie und er Partner wären und zusammen in den Passagen Sachen klauten. Aber es war ein fairer Tausch: Sie hatte jemanden, der Schmiere stand und ihr beim Klauen half, und er bekam dafür Sex.
    »Liebst du ihn denn gar nicht?«, fragte ich.
    Amanda sagte, ich sei eine Romantikerin. Sie sagte, Liebe sei sinnlos, weil sie nur zu einem blöden Austausch führte, bei dem man zu viel weggab und dann verbittert und gemein wurde.
     
    41.
     
    Jimmy und ich fingen an, zusammen Hausaufgaben zu machen. Er war total nett und half mir bei allem, was ich nicht wusste. Da wir bei den Gärtnern immer so viel auswendig lernen mussten, brauchte ich eine Lektion nur anzustarren und sah alles im Kopf vor mir wie ein Bild. Es war zwar schwierig für mich, und ich hatte das Gefühl, ganz schön hinterherzuhinken, aber ich holte relativ schnell auf.
    Weil er zwei Klassen über mir war, hatten Jimmy und ich keinen Unterricht zusammen, bis auf Lebenstechnik, wo man lernte, wie man sein Leben strukturiert, wenn man denn irgendwann mal eins haben würde. Lebenstechnik war mit gemischten Altersgruppen, damit wir mit anderen Schülern unsere jeweiligen Lebenserfahrungen teilen konnten, und Jimmy tauschte seinen Platz und saß dann direkt hinter mir. »Ich bin dein Leibwächter«, flüsterte er, und das gab mir ein Gefühl der Sicherheit.
    Wenn Lucerne nicht da war, gingen wir zu mir nach Hause, um Hausaufgaben zu machen; wenn sie da war, gingen wir zu Jimmy nach Hause. Bei Jimmy zu Hause fand ich es besser, weil er ein Wakunk als Haustier hatte − das war ein neuer Spleiß, halb Stinktier, aber ohne Gestank, halb Waschbär, aber ohne Aggressivität. Sie hieß Killer; sie gehörte zu den ersten ihrer Art. Als ich sie auf den Arm nahm, mochte sie mich sofort.
    Auch Jimmys Mutter mochte mich anscheinend, obwohl sie mich bei unserer ersten Begegnung mit ihren strengen blauen Augen durchdringend ansah und nach meinem Alter fragte. Ich fand sie schon auch ganz nett, obwohl sie zu viel rauchte und mich zum Husten brachte. Keiner von den Gärtnern rauchte, zumindest keine Zigaretten. Sie saß sehr viel am Computer, wobei mir nicht klar war, womit sie sich beschäftigte, da sie ja keinen Job hatte. Sein Vater war fast nie da − er war im Labor und arbeitete daran, menschliche Stammzellen und DNA in Schweine zu transplantieren, um neue menschliche Körperteile zu züchten. Was für Körperteile, fragte ich Jimmy, und er sagte, Nieren, aber vielleicht auch Lungen − in der Zukunft könnte man sich sein persönliches Schwein mit einer Zweitkopie von allem bestellen. Was die Gärtner davon halten würden, war klar: Sie fänden es nicht gut, weil man die Schweine ja dann töten müsste.
    Jimmy hatte diese Schweine schon gesehen: Sie wurden Bauchschweine genannt, weil sie so dick waren. Die Doppelorganmethode war ein Betriebsgeheimnis, sagte er: höchste Geheimstufe. »Hast du denn gar keine Angst, dass dein Vater von irgendeinem ausländischen Konzern entführt wird, der die ganzen Geheimnisse aus ihm rauspresst?«, fragte ich. So was kam immer öfter vor: In den Nachrichten wurde nie darüber berichtet, aber bei HelthWyzer kursierten Gerüchte. Manchmal kamen die entführten Wissenschaftler wieder frei, manchmal auch nicht. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden immer mehr verschärft.
    Nach den Hausaufgaben hingen Jimmy und ich in der HelthWyzer-Passage ab, spielten harmlose Videospiele und tranken Happicappuchino. Beim ersten Mal sagte ich ihm, Happicuppa-Kaffee sei Teufelsgebräu und ich könne das Zeug nicht trinken, und er lachte mich aus. Beim zweiten Mal gab ich mir einen Ruck, und er schmeckte total lecker, und bald dachte ich nicht mehr so viel über das Teuflische daran nach.
    Irgendwann erzählte Jimmy von Wakulla Price. Er erzählte, dass sie seine erste große Liebe war, aber auf die Frage, ob sie mit

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