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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ihm zusammen sein wollte, hatte sie gesagt, mehr als Freundschaft wäre nicht drin. Den Teil kannte ich schon, aber ich sagte trotzdem, das ist aber schade, und Jimmy meinte, er wäre wochenlang ein Häuflein Hundekotze gewesen und noch immer nicht drüber hinweg.
    Danach fragte er mich, ob ich damals in den Plebs einen Freund gehabt hätte, und ich sagte ja − was gelogen war −, aber da ich ja nicht wieder zurückkönne, hätte ich beschlossen, ihn zu vergessen, denn das sei das Beste, wenn man jemanden nicht haben kann, den man haben will. Jimmy war sehr mitfühlend wegen der Sache mit meinem zurückgelassenen Freund, und er drückte mir die Hand. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich gelogen hatte; aber um den Händedruck tat es mir überhaupt nicht leid.
    Mittlerweile führte ich Tagebuch − alle Mädchen in der Schule führten eins, es war eine Retro-Mode: in Computer konnte man eindringen, in ein Buch mit Seiten aus Papier aber nicht. Das alles schrieb ich in mein Tagebuch. Es war fast wie eine Unterhaltung. Ich glaubte nicht mal mehr an die Gefahren des Schreibens: Das war wohl der Beweis, wie sehr ich den Gärtnern schon entwachsen war. Ich versteckte mein Tagebuch im Schrank in einem Stoffbären, weil ich nicht wollte, dass Lucerne darin rumschnüffelte. Denn in dieser Hinsicht hatten die Gärtner recht: Wer die Geheimnisse eines anderen liest, hat ihn in der Hand.
    *
    Dann kam ein neuer Junge auf die HelthWyzer-High. Er hieß Glenn, und ich wusste sofort, dass es derselbe Glenn war, der in der Sankt-Euell-Woche beim Baum des Lebens aufgetaucht war und den Amanda und ich mit seinem Honigglas zu Pilar begleitet hatten. Ich meinte, er hätte mir kurz zugenickt − konnte er sich an mich erinnern? Hoffentlich nicht, denn ich wollte auf keinen Fall, dass er anfing rumzuerzählen, woher er mich kannte. Was, wenn das CorpSeCorps noch immer auf der Suche nach Lucernes angeblichem Sexsklavenhalter war? Was, wenn sie Zeb über mich auf die Spur kamen und er ohne Organe in einer Tiefkühltruhe endete? Schrecklicher Gedanke.
    Aber selbst wenn sich Glenn noch an mich erinnerte, würde er bestimmt nichts sagen, denn er würde ja nicht wollen, dass die Sache mit Pilar und den Gärtnern ans Licht kam, was immer er mit ihnen zu tun gehabt hatte. Ich war mir sicher, das es was Illegales war, denn warum sonst hätte Pilar mich und Amanda damals weggeschickt? Doch sicherlich, um uns zu schützen.
    Glenn tat immer so, als wären ihm alle Leute egal; der tolle schwarze T-Shirt-Träger. Aber irgendwann freundete sich Jimmy mit ihm an, und ich bekam Jimmy immer seltener zu Gesicht.
    »Was macht ihr eigentlich immer, du und Glenn? Der ist mir unheimlich«, sagte ich eines Nachmittags, als wir in der Schulbücherei am Computer Hausaufgaben machten. Jimmy sagte, nur Computerschach oder Onlinespiele spielen, bei ihm oder bei Glenn zu Hause. Ich glaubte, dass sie sich Pornofilme ansahen − wie die meisten Jungen und auch viele Mädchen −, also fragte ich, was denn für Spiele. Barbarenklatschen, sagte er − ein Kriegsspiel. Blut & Rosen, was Ähnliches wie Monopoly, nur dass es darum ging, den Markt für Völkermord und Gräueltaten unter seine Kontrolle zu bringen. Urzeit-Exitus war ein Ratespiel mit ausgestorbenen Tierarten.
    »Dann kann ich ja mal vorbeikommen und mitspielen«, schlug ich vor, aber darauf wollte er sich nicht einlassen. Also doch Pornofilme.
    *
    Dann passierte etwas ganz Schlimmes: Jimmys Mutter verschwand. Sie war nicht entführt worden, hieß es, sondern freiwillig gegangen. Ich bekam mit, wie sich Frank und Lucerne darüber unterhielten. Anscheinend hatte sich Jimmys Mutter mit vielen wichtigen Daten aus dem Staub gemacht, und deswegen war das CorpSeCorps bei Jimmy zu Hause, breitflächig wie ein Hautausschlag. Und da ich und Jimmy ja so dicke Freunde seien, sagte Lucerne, würden wir es vielleicht auch bald im Haus haben. Nicht dass wir etwas zu verstecken hätten. Aber es sei doch sehr lästig.
    Ich schrieb Jimmy sofort eine SMS, um ihm zu sagen, wie leid mir das alles tat mit seiner Mutter und ob ich irgendwas für ihn tun konnte. Er war nicht in der Schule, aber ein paar Tage später schrieb er mir zurück und kam mich besuchen. Er war sehr deprimiert. Schlimm genug, dass seine Mutter verschwunden wäre, sagte er, aber jetzt hatte das CorpSeCorps seinen Vater auch noch um Mithilfe bei den Untersuchungen gebeten, sie hatten ihn in einem schwarzen Solarwagen irgendwo hingebracht; und zwei

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