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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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und, Typen gibt’s auf der Welt wie Bazillen, und du kannst sie pflücken wie Blumen und wegschmeißen, wenn sie verwelkt sind. Aber du musst so tun, als würdest du dich irrsinnig amüsieren, als wäre jeder Tag Party.
    *
    Meine nächste Aktion war nicht so toll, und ich schäme mich noch immer deswegen. Ich sprach Glenn in der Cafeteria an − das erforderte sehr viel Mut, denn Glenn war so cool, dass er fast schon aus Eis war. Und ich fragte ihn, ob er Lust hätte, was mit mir zu machen. Was mir vorschwebte, war, wenn ich Sex mit Glenn hätte und Jimmy fände es raus, wäre Jimmy total am Ende. Nicht dass ich mit Glenn hätte Sex haben wollen, genauso gut hätte man’s mit ’nem Salatbesteck treiben können. So flach und hölzern, wie er einem vorkam.
    Glenn fragte: »Was zu machen?«, leicht verwirrt. »Bist du nicht mit Jimmy zusammen?« Ich sagte, das sei vorbei, und außerdem sei es nie was Ernstes gewesen, weil Jimmy ein blöder Affe sei. Dann platzte ich auch schon mit dem heraus, was mir als Nächstes in den Kopf kam.
    »Ich hab dich zusammen mit den Gärtnern gesehen, beim Baum des Lebens«, sagte ich. »Weißt du noch? Ich war die, die dich zu Pilar begleitet hat. Mit dem Honig damals.« Er sah beunruhigt aus und schlug vor, einen Happicappuchino trinken zu gehen und zu reden.
    Also redeten wir. Sehr viel sogar. Wir hingen so oft in der Passage ab, dass die anderen schon dachten, wir hätten was miteinander, aber das stimmte nicht − es war keine Romanze. Was dann? Ich denke mal, Glenn war der einzige Mensch bei HelthWyzer, mit dem ich über die Gärtner reden konnte, und umgekehrt war es genauso. Es war, als wäre man Mitglied in einem Geheimclub. Vielleicht war Jimmy gar nicht mein Zwilling − sondern Glenn. Komische Vorstellung, wenn man bedenkt, was für ein seltamer Typ er war. Eher wie ein Cyborg, das sagte Wakulla Price immer über ihn. Ob wir befreundet waren? Das nicht gerade. Manchmal guckte er mich an, als wäre ich eine Amöbe oder irgendeine Aufgabe, die er im Nanotech-Bioform-Unterricht lösen musste.
    Glenn wusste schon ziemlich viel über die Gärtner, aber er wollte noch mehr wissen. Wie der Alltag dort war. Was sie alles machten und sagten, was sie wirklich glaubten. Ich musste ihm die Lieder vorsingen, ich musste wiederholen, was Adam Eins bei seinen Namenstagsreden und Feiertagsreden sagte. Glenn lachte nie darüber, wie Jimmy es bestimmt getan hätte. Stattdessen fragte er zum Beispiel: »Die glauben also, dass wir ausschließlich recyceltes Material benutzen sollen. Aber was wäre, wenn die Konzerne nichts Neues mehr produzieren würden? Dann ginge uns doch das Material aus.« Manchmal stellte er auch persönlichere Fragen wie: »Wenn du am Verhungern wärst, würdest du dann Tiere essen?« und: »Glaubst du wirklich an die wasserlose Flut?« Aber ich hatte nicht immer auf alles eine Antwort.
    Er hatte auch noch andere Themen. Eines Tages sagte er, in einer widrigen Lage müsse man den König töten, genau wie beim Schach. Ich sagte, es gebe keine Könige mehr. Er sagte, in dem Fall das Zentrum der Macht, denn heute sei das keine Einzelperson mehr, es seien die technologischen Verbindungen. Ich sagte, du meinst Codieren und DNA-Spleißen, und er sagte: »So ähnlich.«
    Einmal fragte er mich, ob ich Gott für einen Neuronencluster halten würde, und wenn ja, ob dieser Cluster beim Menschen als konstitutiv für das Wettbewerbsdenken durch natürliche Auslese vererbt worden sei oder lediglich eine Laune der Natur sei wie rote Haare, ohne Auswirkungen auf die Überlebenschancen. Oft kam ich überhaupt nicht mit, und dann sagte ich: »Was glaubst du denn?« Er war nie um eine Antwort verlegen.
    Jimmy sah uns tatsächlich zusammen in der Passage, und er schien tatsächlich verdutzt, aber nicht sehr lange, weil ich mitbekam, wie er Glenn das Daumen-hoch-Zeichen machte, als wollte er sagen:
Greif zu, Kumpel!
Als hätte er mich gepachtet und würde mich großzügig zur Verfügung stellen.
    *
    Jimmy und Glenn machten zwei Jahre vor mir ihren Abschluss und fingen an zu studieren. Glenn ging zusammen mit den ganzen Supercheckern zum Watson-Crick und Jimmy ging auf die Martha Graham Academy, wo alle landeten, die kein mathematisches und naturwissenschaftliches Potenzial hatten. Ich musste also nicht mehr mit ansehen, wie Jimmy mit diesem oder jenem Mädchen anbändelte. Nur war es ohne Jimmy fast noch schlimmer als mit Jimmy.
    Irgendwie brachte ich die nächsten zwei Jahre herum. Meine

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