Das Jahr der Flut
praktischer gesinnt. Auch strategischer. »Lasst uns für den Erfolg unserer Erwägungen ein stilles Gebet sprechen«, begann er. Jede Versammlung wurde auf diese Weise eröffnet. Toby fiel das Beten in der Enge des versteckten Zimmers nicht ganz leicht: Sie war sich knurrender Mägen, privater Duftnoten, der knackenden und unruhigen Körper allzu bewusst. Aber so gesehen fiel ihr das Beten ja an sich nicht ganz leicht.
Das stille Gebet war wie auf Knopfdruck vorbei. Köpfe hoben sich, und Augen wurden aufgeschlagen, und Adam Eins warf einen Blick durch den Raum. »Ist das ein neues Bild?«, fragte er. »Dort an der Wand?«
Nuala strahlte. »Das ist Sankt E. O.«, sagte sie, »Wilson. Schutzpatron der Hymenoptera.«
»Verblüffend gut getroffen, meine Liebe«, sagte Adam Eins. »Vor allem der … Du bist eine begnadete Künstlerin.« Er hüstelte. »Und nun zu einer dringenden praktischen Sache. Wir haben gerade einen besonderen Gast bei uns aufgenommen. Ursprünglich kommt sie aus der HelthWyzer-Zentrale, war aber bis jetzt, sagen wir, auf Reisen. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat sie uns ein paar Genome mitgebracht, für die wir ihr nicht nur vorübergehendes Asyl schuldig sind, sondern einen sicheren Platz in der Außenhölle.«
»Sie wird gesucht«, sagte Zeb. »Sie hätte nicht aus dem Ausland zurückkommen dürfen. Wir müssen sie so schnell wie möglich wieder rausschaffen. Also durchs FenderBender und rüber zur Traumstraße, wie immer?«
»Sobald die Bahn frei ist«, sagte Adam Eins. »Wir dürfen kein unnötiges Risiko eingehen. Zur Not können wir sie immer noch hier im Versammlungsraum verstecken.«
Weibliche und männliche Komplexflüchtlinge standen im Verhältnis drei zu eins. Weil Frauen moralischer seien, sagte Nuala, weil sie zimperlicher seien, sagte Zeb; und Philo sagte, das komme aufs selbe raus. Flüchtlinge wie sie hatten häufig geschmuggelte Informationen dabei. Formeln. Zeilenweise Codes. Testgeheimnisse, Betriebslügen. Toby fragte sich, was die Gärtner mit dem ganzen Zeug anstellten. Doch wohl nicht als Spionagematerial weiterverkaufen, auch wenn ausländische Rivalen eine Stange Geld dafür zahlen würden. Soweit sie erkennen konnte, nahmen sie es einfach in Gewahrsam; wobei Adam Eins vielleicht tatsächlich davon träumte, alle verlorenen Tierarten anhand ihrer konservierten DNA-Codes wiederherzustellen, sobald eine ethisch und technisch versiertere Zukunft die deprimierende Gegenwart abgelöst hätte. Das Mammut hatte man geklont, warum also nicht auch die anderen Tiere? War das seine Vision der ultimativen Arche?
»Unser neuer Gast möchte ihrem Sohn eine Nachricht zukommen lassen«, sagte Adam Eins. »Sie sorgt sich, weil sie ihn in einer möglicherweise entscheidenden Phase seines Lebens zurückgelassen hat. Jimmy heißt der Knabe. Soweit ich weiß, studiert er zurzeit an der Martha Graham Academy.«
»Eine Postkarte«, sagte Zeb. »Wir sagen, sie sei von Tante Monica. Besorg mir die Adresse, ich lass sie dann über England weiterleiten − einer unserer Trüffelleute fliegt nächste Woche rüber. Das CorpSeCorps wird sie natürlich lesen − wie alle Postkarten.«
»Wir sollen ihm ausrichten, dass sein Hauswakunk im Heritage Park ausgesetzt wurde, wo er jetzt ein freies und glückliches Leben führt. Er heißt − äh − Killer.«
»Heiliger Zeppelin!«, sagte Zeb.
»So etwas sagt man nicht«, sagte Nuala.
»Verzeihung. Aber wieso muss es immer so kompliziert sein«, sagte Zeb. »Das ist in diesem Monat schon die dritte Nachricht mit einem Hauswakunk. Demnächst sind’s Hamster und Mäuse.«
»Also ich finde das rührend«, sagte Nuala.
»Immerhin gibt es noch Leute, die Worten Taten folgen lassen«, sagte Rebecca.
*
Toby wurde dem neuen Flüchtling als Betreuerin zur Seite gestellt. Ihr Codename war der Hammerhai, denn vor ihrem Abgang bei HelthWyzer soll sie den Computer ihres Mannes mit dem Inhalt eines Werkzeugkoffers auseinandergenommen haben, um die Ausmaße ihres Datenklaus zu verschleiern. Sie war dünn, blauäugig und alles andere als gelassen. Wie alle Konzerndeserteure glaubte sie, sie sei die Einzige auf der Welt, die jemals den gewichtigen ketzerischen Schritt unternommen und gegen einen Konzern aufbegehrt hatte; und wie alle wollte sie unbedingt hören, was für ein guter Mensch sie sei.
Toby tat ihr den Gefallen. Sie lobte den Mut des Hammerhais und betonte, wie klug sie gewesen sei, so verschlungene Wege zurückgelegt zu haben, und wie dankbar man
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