Das Jahr der Flut
hinweisen, die es mit sich bringt, Gott durch einen Bruch seines Vertrauens in uns als Hüter der Erde zu verstimmen.«
»Du willst damit sagen, wenn Gott im Spiel ist, wird man bestraft?«, sagte Toby.
»Ja«, sagte Adam Eins. »Natürlich wird man auch bestraft, ohne dass Gott im Spiel ist. Aber das wollen sich die Menschen nur ungern eingestehen. Wenn schon Strafe, dann wollen sie auch einen Bestrafer. Sinnlose Katastrophen behagen ihnen nicht.«
Was steht wohl heute auf dem Programm, fragte sich Toby. Welche Frucht es war, die Eva vom Baum der Erkenntnis aß? Ein Apfel kann es nicht gewesen sein, geht man vom Zustand der damaligen Gartenbaukunst aus. Eine Dattel? Eine Bergamotte? Die Frage wurde in der Versammlung schon seit geraumer Zeit erörtert. Fast hätte Toby die Erdbeere vorgeschlagen. Aber die wuchs natürlich nicht an Bäumen.
*
Unterwegs achtete Toby wie immer auf die anderen Leute auf der Straße. Sie blieb in Türeingängen stehen und nutzte Pausen und Fensterscheiben, um zu prüfen, wer hinter ihr ging. Aber sie konnte sich nie ganz von dem Eindruck befreien, dass sie verfolgt wurde − dass im nächsten Moment eine Hand nach ihrem Nacken greifen würde, eine Hand mit roten und blauen Adern und kleinen Totenschädeln am Handgelenk. Blanco war in Sewage Lagoon schon länger nicht gesichtet worden − er sei noch immer im Painball, sagten manche; nein, sagten andere, er sei als Söldner in Übersee −, aber er war wie der Feinstaub: Ein paar seiner Moleküle hingen immer in der Luft.
Hinter ihr ging jemand − sie spürte es wie ein Prickeln zwischen den Schultern. Sie trat in einen Türeingang, drehte sich dem Gehweg zu und sackte erleichtert zusammen: Es war Zeb.
»Na Baby«, sagte er. »Heiß genug?«
Er schlenderte neben ihr her und sang dabei vor sich hin:
Kümmert doch keinen Schwanz,
Kümmert doch keinen Schwanz,
Vergessen wir’s lieber ganz,
Denn es kümmert doch keinen Schwanz!
»Vielleicht solltest du besser nicht singen«, sagte Toby sachlich. Es war nicht sehr geschickt, auf einem Plebsländer Gehweg die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, vor allem als Gärtner.
»Ich kann nicht anders«, sagte Zeb gut gelaunt. »Gott ist schuld. Er hat die Musik mit unserem Sein verwoben. Er hört einen besser, wenn man singt, also hört Er auch jetzt zu. Ich hoffe, dass es Ihm gefällt«, fügte er spöttelnd im Adam-Eins-Ton hinzu − einem Ton, den er ziemlich häufig anschlug, wenn auch nicht in Gegenwart von Adam Eins.
Unterschwelliger Ungehorsam, dachte Toby: Er hat keine Lust mehr, der Beta-Affe zu sein.
Seit ihrer Ernennung zur Eva hatte sie einige Einsichten gewonnen in Zebs Status unter den Gärtnern. Jeder Gärtner-Dachgarten und jede Trüffelzelle war selbstverwaltet, aber alle halbe Jahre wurde ein Abgeordneter zu einer Hauptkonferenz entsandt, die aus Sicherheitsgründen niemals in demselben verlassenen Lagerhaus stattfand. Zeb war immer der Abgeordnete: Er war gut gewappnet, um durch die raueren Plebs und an den CorpSeCorps-Kontrollpunkten vorbeizukommen, ohne überfallen, angegriffen, erschossen oder festgenommen zu werden. Vielleicht durfte er deshalb die Gesetze der Gärtner immer wieder auf seine typische Art unterwandern.
Adam Eins nahm an den Konferenzen nur selten teil. Die Reise war voller Gefahren, und das wiederum legte nahe, dass Zeb im Gegensatz zu Adam Eins entbehrlich war. Theoretisch hatte die Gärtnerschaft keinen Anführer, aber in der Praxis war es Adam Eins, der allseits geschätzte Begründer und Guru. Der weiche Hammerschlag seines Wortes wog viel bei den Gärtnerkonferenzen, und da er selten anwesend war, um selbst zu hämmern, schwang Zeb den Hammer an seiner statt. Was sicherlich verführerisch war: Was, wenn Zeb das Dekret des Adam Eins einfach über Bord werfen und durch sein eigenes ersetzen würde? Durch ähnliche Methoden waren schon ganz andere Regierungen und Herrscher gestürzt worden.
*
»Hast du schlechte Neuigkeiten?«, fragte Toby jetzt. Zebs Singen deutete darauf hin: Bei schlechten Neuigkeiten war er immer irritierend heiter.
»Ja, es ist so«, sagte Zeb. »Wir haben den Kontakt zu einem unserer Komplexler verloren − dem Jungen, unserem Kurier. Er ist total dunkel.«
Seit sie zur Eva geworden war, wusste Toby von dem jungen Kurier. Er hatte − jedes Mal in einem Honigglas − Pilars Gewebeproben für die Biopsie weitergeleitet und ihr die verheerende Diagnose überbracht. Mehr wusste sie nicht: Unter den Adams und Evas
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