Das Jahr der Kraniche - Roman
frühen Tod ihrer Mutter allein großgezogen hatte und das mit wunderbaren Erinnerungen gefüllt war, zu verlassen. Aber noch war er rüstig genug für einen Neuanfang. Jedem Anfang lag schließlich ein Zauber inne. Und er würde einfach das Beste daraus machen.
»Vielleicht zieht ja eine junge Familie ein.«
Es war, als hätte Elke seine Gedanken mitgedacht.
»Ich würde mich über Nachbarn wirklich freuen.«
Elke hatte nie darüber geredet, dass sie sich in dem hübschen Holzhaus, das sie und ihr Mann ganz in der Nähe bewohnten, vielleicht einsam fühlen würde. Sie wirkte auf ihn zufrieden und ausgeglichen, angekommen in ihrem Leben.
Ihr Häuschen hatte sie mit den Jahren zu einem kleinen Schmuckstück gemacht, das inmitten eines blühenden Gartens stand, um den sie sich mit Hingabe kümmerte.
»Es könnte ja sogar sein, dass ich endlich mal eine richtige Freundin kriege. Mit der ich Kaffee trinken und mich über die Männer auslassen kann. Oder Rezepte austauschen. Oder vielleicht sogar mal nach Berlin fahren, um durch die Klubs zu ziehen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du solch verwegene Begehrlichkeiten hast.«
Hanno hatte immer gedacht, dass Elke gern allein war, dass sie das Großstadtleben, das sie als Biologiestudentin in Berlin kennengelernt hatte, nicht vermissen würde. Ihre Ehe und ihr Beruf als Lehrerin am Gymnasium in Templin waren ihr doch immer über alles gegangen.
»Hab ich eigentlich auch nicht.«
Sie schmiegte sich lächelnd in den Arm ihres Vaters.
»Du weißt, dass ich zufrieden bin mit dem, was ich habe. Nur Marius zieht mich immer damit auf, dass ich hier lebe, als wäre ich schon fünfundsechzig. Er meint immer, ich solle mir mal was gönnen.«
Hanno drückte seine Tochter an sich. Wie immer dachte er, dass sie einfach zu dünn war, als er ihre Schulterknochen an seiner Brust spürte.
»Wir könnten ja auch alle zusammen nach Templin ziehen. Wir suchen uns ein großes Haus. Ihr unten und ich oben. Oder umgekehrt. Vorausgesetzt natürlich, es graust dir nicht schon bei dem Gedanken, mit deinem alten Vater zusammenzuleben.«
Sie hob den Blick und sah ihm lächelnd in die Augen.
»Mein alter Vater. Ich kenne kaum jemanden in deinem Alter, der jünger ist als du. Wahrscheinlich wirst du dir, wenn du endlich aus deinem Einsiedlerhäuschen raus bist, eine flotte Freundin suchen. Und dann wirst du es sein, der keine Lust hat, mit seiner Familie zusammenzuleben.«
Er lachte leise. Natürlich würde er seine Tochter nie verlassen. Sie war sein Augenstern gewesen, von ihrem ersten Schrei an bis heute– das Einzige, was ihm nach Ullas Tod geblieben war. Sie war nicht mehr und nicht weniger als das Wichtigste in seinem Leben. Nie würde er sie aus den Augen lassen, nie von ihr wegziehen. Ganz im Gegenteil: Er würde sich bis zu seinem letzten Atemzug um sie sorgen und alles dafür tun, dass ihr kein Leid geschah. Wie er es immer getan hatte.
»Weißt du was? Wir lassen es einfach auf uns zukommen. Und dann entscheiden wir, was passieren soll.«
Vielleicht hatte das Schicksal ja auch etwas ganz anderes mit ihnen vor. Er hatte gelernt, dass Pläne zwar wichtig und durchaus auch inspirierend waren, dass das Leben aber seine eigenen Wege ging. Wege, die ursprünglich wie schnurgerade Autobahnen vor einem zu liegen schienen, die sich aber unversehens in holperige Pflasterstraßen verwandelten, in deren Kurven die Gefahr genauso lauern konnte wie das Glück.
Er hatte gelernt, auf das Unerwartete zu reagieren, egal, wie es beschaffen war. Er hatte gelernt, dass morgen schon alles ganz anders sein konnte als heute. Und dass auch das Ausweglose immer einen Ausweg bot.
Was geschehen musste, würde geschehen. Und er würde sich voller Demut fügen. Wie er es immer getan hatte.
Eigentlich hatte Jan vorgehabt, Laura auf eine romantische Hochzeitsreise in die Karibik zu entführen. Das volle Programm: Luxushotel am Strand, Segeltörns, Nächte unter dem Sternenhimmel, gepflegte Dinners auf von Bougainvilleas umrankten Terrassen. Er hatte sie erst im Frühling in seine Heimat bringen wollen. Dann, wenn die Wiesen voller Blumen standen, wenn die Buchen ihr dichtes Blätterdach ausgebildet hatten, wenn die Seen und Tümpel warm genug waren, um in ihnen zu schwimmen. Doch Laura hatte sich nur gewünscht, endlich den Landstrich kennenzulernen, in dem Jan aufgewachsen war, und das Haus, in dem sie den Rest ihres glücklichen Lebens mit ihm verbringen würde. Reisen würden sie später noch können.
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