Das Jahr der Kraniche - Roman
bin.«
Sie knöpfte Ninas Kleidchen wieder zu. Die Kleine strahlte, als sie den Lutscher, den es bei Marius obligatorisch gab, in Empfang nahm.
»In einer Woche kommen Sie bitte nochmals mit Nina vorbei. Und dann dürfte sie es überstanden haben.«
Als Suse sich verabschiedete, fiel ihr ein, was sie Marius noch fragen wollte.
»Sagen Sie, Doktor Berg, suchen Sie eigentlich immer noch eine Sprechstundenhilfe?«
»Ganz dringend. Heike ist nur noch bis Monatsende da. Dann zieht sie mit ihrem Mann nach Bremen. Er hat da einen guten Job bekommen.«
Suse hatte, bevor Nina auf die Welt gekommen war, in Feldberg bei einem Internisten als Sprechstundenhilfe gearbeitet. Und da sie und ihr Mann sich mit der Idee trugen, ein Haus zu bauen, hatten sie beschlossen, dass Suse nun, da Nina schon in den Kindergarten ging, sich einen Job suchen sollte. Marius hätte sie am liebsten geküsst, als er hörte, dass sie sich um die Stelle bewerben wollte.
»Sie schickt der Himmel, wissen Sie das? Wann können Sie denn anfangen?«
»Zum nächsten Ersten wäre kein Problem. Nina geht dann in den Ganztagskindergarten in Templin, und ich kann wieder voll arbeiten.«
Sie gaben einander die Hand und besiegelten damit den Anstellungsvertrag mündlich. Bis übermorgen würde Marius Suse einen schriftlichen Vertrag schicken, und am nächsten Ersten würde sie bei ihm anfangen zu arbeiten. Als Suse und Nina gingen, konnte Marius es kaum fassen, dass er die nächsten Monate die Praxis nicht allein würde schmeißen müssen, wie er befürchtet hatte.
Als er sich die Hände wusch, wanderten seine Gedanken zu dem Vorfall mit Laura. Es hatte ihn erschüttert, wie durcheinander sie gewesen war. Diese helle Freude, die in ihr gewesen war, als sie seine Praxis verlassen hatte, war wie weggeweht. Sie hatte plötzlich nur noch aus Sorgen bestanden. Sicher, er kannte das, dass Frauen, vor allem, wenn sie zum ersten Mal Mutter wurden, plötzlich wacklige Knie bekamen, dass sie verunsichert waren, ob sie die Verantwortung, die da auf sie zukam, würden tragen können. Aber Laura? Er hatte sie als so stark und unerschütterlich optimistisch kennengelernt, dass er nicht erwartet hatte, dass sie sich solche Sorgen machen würde. Er hoffte sehr, dass er sie hatte beruhigen können. Und noch mehr hoffte er, dass sie Jan so schnell wie möglich von dem Kind erzählen würde. Jan würde ihr helfen, die Zweifel, die in ihr aufkeimten, zu zerstreuen. Marius beschloss, auch mit Elke über Lauras Ängste zu reden. Sie würde sich der Freundin annehmen, ihr helfen, sich auf das Kind vorzubereiten. Was immer man gegen Elke sagen konnte, dass sie launisch war und nicht besonders fröhlich, auch dass sie viel zu oft von einer allzu erklärlichen Wehmut geplagt wurde– sie hatte ein großes Herz. Sie würde alles tun, damit es der einzigen Freundin, die sie seit Langem hatte, gut gehen würde.
So wie sie es damals auch bei Julia getan hatte. Marius sah auf seine Hände. Sie zitterten. Er ging zum Fenster, sah auf den Marktplatz hinaus, wo ein halbes Dutzend Kinder im Brunnen planschten. Er öffnete das Fenster. Die Luft, die hereinkam, war heiß und stickig. Er sah zum Himmel, der in einem makellosen Sommerblau strahlte. Und doch glaubte Marius die Spannung zu spüren, die ein baldiges Gewitter ankündigte.
Laura ritt auf Flora durch die Wiesen. Sie liebte diesen Weg entlang der kleinen Sölle, die in der Hitze der letzten Wochen auszutrocknen drohten. Dicke Kröten saßen bis zum Bauch im Schlamm. Ihr Konzert erfüllte die spannungsgeladene Luft. Flora wedelte mehr mit dem Schweif als sonst. Fliegen in dichten Schwärmen plagten das Pferd, als es in langsamem Trab auf den Wald zuging.
»Im Wald geht ’ s dir besser, Kleine. Da ist es kühler.«
Flora hatte sie freundlich begrüßt, als sie an die Koppel gekommen war, um auszureiten. Es würde dem Pferd gut tun, in den Wald zu kommen. Auf der Koppel gab es zwar einige Bäume, aber an Tagen wie diesen lag die Hitze in einer undurchdringlichen Glocke über dem Tal und machte den Pferden sehr zu schaffen. Sie passte sich dem Rhythmus des Pferdes an. Es wiegte sich im Trab so sanft, dass sie nun endlich ganz ruhig wurde.
Ihre Gedanken schweiften zu dem Kind, das sie in sich trug. Sobald es groß genug war, würde sie ihm ein Pony kaufen. Jan würde ihm das Reiten beibringen, und dann würden sie zu dritt lange Ausritte machen. Sie lächelte bei der Vorstellung des aufgeregten kleinen Mädchens, das zum ersten Mal
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