Das Jahr der Kraniche - Roman
beobachtete seine Tochter nachdenklich. Sollte das ein Zeichen sein, dass sie Lilien für Jan besorgte? Wollte sie ihm damit sagen, dass alles so war wie früher, als sie unbeschwerte Kinder waren? Als das Leben noch nicht mit ihnen gespielt hatte? Würde Jan das Zeichen verstehen, oder hatte er vergessen, was die Lilien damals für Elke und ihn bedeutet hatten? Vielleicht sollte er Elke darauf vorbereiten, dass Jan möglicherweise…
Nein! Ich werde mich nicht einmischen. Wenn es einen Weg gibt für Elke und Jan, dann müssen sie ihn allein finden.
Er hoffte, dass sie ihn finden konnten. Er wünschte sich nichts mehr, als dass sie wieder so unkompliziert und vergnügt miteinander würden umgehen können, wie sie es damals als Kinder getan hatten.
»Nicht! Nicht noch ein Zimmer. Mir ist schon ganz schwindlig. Lass mich runter, Jan. Ich bin groß. Ich kann schon ganz gut allein laufen.«
»Nicht, bevor ich meiner Frau das ganze Haus mit jedem Zimmer gezeigt habe.«
Das fröhliche Lachen der Frau schallte aus den geöffneten Fenstern. Es schien durch den Garten zu fliegen und sich über dem See zu verlieren.
Nicht bevor ich meiner Frau das ganze Haus …? – Meiner Frau!
War das Jans Stimme? Natürlich. Es gab keinen Zweifel, der Mann, der dort im Inneren des Hauses in einen lachenden Disput mit seiner Frau verstrickt war, war Jan. Elke stand an der offenen Terrassentür. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Jan hatte wieder geheiratet. Und anscheinend war er sehr glücklich mit seiner neuen Frau. Alles war gut. Die Welle der Erleichterung, die plötzlich durch Elke strömte, ließ ihre Knie zittern.
»Ich rieche, rieche… Lilienduft. Elke? Bist du das?«
Jans Stimme klang ausgelassen und vergnügt.
»Natürlich bin ich es.«
Elke betrat das Wohnzimmer, in das in diesem Augenblick Jan aus der Halle hereinkam, an der Hand seine neue Frau, der das Glück aus allen Poren zu strahlen schien.
»Ich wollte dir die Lilien als Willkommensgruß ins Haus stellen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du schon da bist.«
Schon war Jan bei ihr und riss sie in seine Arme.
»Meine Lilienfee. Wie schön, dich zu sehen. Süße, kleine Lilienfee.«
Er schwenkte sie im Kreis herum, wie er es immer getan hatte und was sie sich lachend gefallen ließ. Dann stellte er sie vor Laura ab, die das Schauspiel einigermaßen verblüfft betrachtet hatte.
»Laura, das ist Elke. Meine erste und allerbeste Freundin. Ich hoffe, dass du sie genauso lieben wirst wie ich.«
Lieben? Ich dachte, ich bin die Einzige, die du liebst? Wieso hast du mir nichts von dieser Lilienfee erzählt?
» Hallo Elke, ich bin Laura. Jans…«
»Laura ist meine Frau. Wir haben vor zwei Tagen geheiratet, und jetzt ziehen wir hier ein.«
Er legte den Arm um Laura. Elke reichte Laura die Hand.
»Hallo, Laura. Schön, dich kennenzulernen. Ach so, ja, und herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.«
Meint sie das wirklich so?
» Ich freue mich, dass ich endlich wieder eine Frau in der Nähe habe. Ich wohne in dem kleinen Holzhaus oben am Nordufer des Sees. Und manchmal ist es da ganz schön einsam.«
»Ich bin sicher, ihr werdet euch bestens verstehen. Elke ist hier aufgewachsen, sie kennt nicht nur jeden Baum und jeden Strauch, sondern auch jeden Menschen in der Gegend.«
»Wenn du also Fragen hast… komm immer gern zu mir. Ich gebe dir über alles Auskunft.«
»Nur nicht über mich.«
Jan grinste verschwörerisch.
»Meine Geheimnisse bleiben geheim. Oder wenn sie schon gelüftet werden sollen, dann allenfalls von mir.«
Was ist hier los? Wieso ist er plötzlich so aufgedreht? War da was zwischen den beiden? Und wenn ja, was?
Einen Moment lang kam sich Laura ausgeschlossen vor. Jan hatte ihr nichts von Elke erzählt. War sie etwa eifersüchtig? Auf eine Frau, die er wohl sein Leben lang kannte?
Schmarrn. Wieso soll ich eifersüchtig sein? Er ist mein Mann. Wenn da noch irgendetwas mit dieser Frau wäre, hätte er mich doch nicht …
» Auch wenn ich am liebsten sofort und auf der Stelle alles über euch erfahren würde, muss ich jetzt leider los. Marius kommt gleich aus der Praxis. Er will was essen, bevor er seine Hausbesuche macht.«
Sie küsste Jan auf die Wange.
»Ich freue mich, dass du wieder da bist, Großer!«, sagte sie und gab Laura die Hand. »Und ich freue mich, dass du ihn so offensichtlich glücklich machst. Ich kenne keinen Menschen auf der Welt, der es mehr verdient hätte glücklich
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