Das Jahr der Kraniche - Roman
zu sein als Jan.«
Und weg war sie.
»Süß von ihr, uns Lilien zu bringen.« Jan sammelte die Blütenzweige ein, die in der Heftigkeit der Begrüßung zu Boden gefallen waren. »Ich hatte ihr damals zum Schulanfang einen Riesenstrauß Lilien geschenkt. Sie war praktisch dahinter verschwunden.«
»Du hast einer Sechsjährigen Lilien geschenkt?«
»Ich weiß, Veilchen wären angebrachter gewesen. Aber ich war sechzehn. Blumen an sich fand ich ziemlich spießig. Vor allem alles, was irgendwie klein und niedlich war. Die einzigen Blumen, die für mich in Frage kamen, waren nun mal Lilien. Aufrecht, prachtvoll, glamourös. Und mit einem alles umhauenden Duft. Andere Blumen hätte ich nicht verschenken können. Nicht in jener Zeit. Ich fürchte, ich war ein ziemlicher Angeber.«
»Auf jeden Fall hast du eine Sechsjährige mit deinem Geschmack nachhaltig beeindruckt.«
Wieso klingt meine Stimme plötzlich so zickig? Hoffentlich merkt er es nicht. Er muss mich ja für völlig bescheuert halten.
Laura bemerkte, dass Jan sich suchend umsah. Sie öffnete die Tür des großen Biedermeierschranks, der an der Wand gegenüber den Terrassentüren stand, und holte wie selbstverständlich eine Vase heraus.
»Du bist schon einmal hier gewesen, gib es zu!«
Jan stellte die Lilien in die Vase und verschwand aus dem Raum. Sie hörte, wie irgendwo Wasser aufgedreht wurde.
Glück gehabt. In dem Schrank hätte ja auch Tischwäsche sein können. Oder die Gewehre des alten Försters.
» Oder woher wusstest du, wo du die Vasen findest?«
Jan stellte die Vase auf einen kleinen runden Tisch. Der Strauß sah prachtvoll aus. Wie ein Gemälde in der untergehenden Sonne, die jetzt ein paar letzte glühende Strahlen in das Zimmer schickte.
»Ich werde ja wohl noch wissen, wo in meinem Haus die Vasen stehen«, lachte Laura.
In meinem Haus. Wie das klingt. Mein Haus!
» Ja dann… brauche ich dir ja wohl nichts mehr zu zeigen.« Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich auf die Terrasse, von der aus man einen betörenden Blick über den Garten bis hin zum See hatte.
»Dein Haus, dein Garten, dein Boot, dein See.«
»Mein See? Du willst mir doch nicht sagen, dass der See dir gehört?«
»Mein Großvater hat damals nach und nach das ganze Land um den See aufgekauft. Und den See dazu. Hat ihn eine Stange Geld gekostet. Aber er hatte damals schon Angst, dass die Ufer bebaut werden würden und er in der Idylle, die er für sich und seine Familie geschaffen hatte, gestört würde.«
Alles, was Laura sich ausgemalt hatte, wurde von der Realität bei Weitem übertroffen. In was für einem Paradies war sie hier gelandet! Das war doch hoffentlich nicht alles ein Traum, aus dem sie plötzlich erwachen würde, um sich in ihrer kleinen Wohnung in München-Obermenzing wiederzufinden.
»Zwickst du mich bitte mal?«
»Ich denke nicht daran.«
»Dann sag mir, dass ich nicht träume.«
»Du träumst nicht. Du bist hier. Mit mir. Und das ist gut so.«
Im Haus krachte donnernd eine Tür ins Schloss. Laura zuckte zusammen.
»Der Wind. Wir hätten die Fenster im Musikzimmer schließen sollen.«
Natürlich, der Wind. Was hätte es denn sonst sein sollen? Wieso bin ich denn so schreckhaft?
Jan ging ins Haus, und man hörte, wie er einige Türen schloss. Als er wieder auf der Terrasse erschien, hatte er eine Flasche Champagner und zwei langstielige Gläser in der Hand.
»Komm, wir gehen auf den Steg und stoßen auf unser neues Leben an.«
Mit der freien Hand zog er sie mit sich die Treppen hinab. Sie gingen über den noch wintergrauen Rasen auf den Holzsteg zu, der weit auf die spiegelnde Oberfläche des Sees hinausragte und an dessen Ende sich eine kleine weiße Holzbank befand.
Die Luft vibrierte, als sie die Gläser aneinander stießen. Ein Schwarm Kraniche zog über sie hinweg.
Die Glücksvögel. Genau im richtigen Augenblick.
» Auf uns, Laura. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin.«
»Auf uns, Jan.«
Und auf unsere Zukunft. Auf unser Glück. Auf jeden Tag, den wir miteinander haben werden. Ich versprech ’ dir, ich werde alles tun, dass wir immer so glücklich sein werden wie heute.
3
»Es ist alles gut so, wie es ist. Es ist alles gut. Alles gut.« Elke schrie leise auf, als das Messer von der Karotte abrutschte und in die Kuppe ihres linken Zeigefingers glitt. Verdammt! Wieso hatte sie nicht besser aufgepasst? Ein Blutstropfen trat aus der Wunde aus, zur gleichen Zeit stieg der Schmerz in ihr hoch. Sie steckte den
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