Das Jahr der Kraniche - Roman
neuen, größeren Badezimmerschrank zu ersetzen, in dem sie all ihre Flaschen und Tiegel locker unterbringen konnte? Sie wollte das Schränkchen gerade wieder schließen, da rutschte etwas aus dem Inneren hervor und krachte, bevor Laura es verhindern konnte, auf den mit alten Fliesen ausgelegten Boden und zerschellte krachend. Sofort verbreitete sich der intensive Duft von Shalimar. Schwer, würzig, dunkel. Laura starrte auf die Scherben und die winzige dunkle Pfütze auf den mit hellgrünen Zweigmotiven bemalten Kacheln. Seit sie achtzehn war, benutzte sie dieses Parfum. Ihre Mutter hatte zwar gemeint, das sei kein Duft für eine junge Frau, sondern eher etwas für mondäne Großmütter, aber das war ihr egal gewesen. Wenn sie abends ausging, tupfte sie sich immer einen Tropfen davon hinter die Ohren. Und einen zwischen ihre Brüste. Was für ein Zufall, dass sich hier in dem ansonsten komplett leeren Bad dieses fast leere Fläschchen ihres Lieblingsparfums befand. Aber vielleicht auch gar nicht seltsam. Vermutlich hatte es Jans Mutter gehört, die eine schöne elegante Frau gewesen war.
Jan stand am offenen Fenster, als sie aus dem Bad kam. Die Bettdecke auf dem Boxspringbett war zurückgeschlagen. Die hellgraue Tagesdecke, die es bedeckt hatte, als Jan ihr vorher das Schlafzimmer gezeigt hatte, lag zusammengelegt auf einem Stuhl. Auf dem rechten Nachttisch stand die halb geleerte Champagnerflasche in einem Kühler, daneben die Gläser. Nur eine kleine, seidenbezogene Lampe, die auf einer weiß gekalkten Eichenkommode stand, hellte den dunklen Raum ein wenig auf. Laura legte ihre Arme von hinten um ihren Mann.
»Da bin ich.«
Jan drehte sich und nahm sie in die Arme.
»Du duftest gut.«
»Nach Shalimar. Da war ein kleines Fläschchen im Bad, schon fast ausgetrocknet. Es hat wohl deiner Mutter gehört?«
»Ganz bestimmt nicht. Meine Mutter trug nie Parfum. Landleben und Parfum, das gehörte für sie nicht zusammen.«
Laura machte sich aus seinen Armen los.
»Ich dachte, außer deiner Mutter hat hier nie eine andere Frau gewohnt. Sag nicht, dass du heimlich Damenparfum benutzt.«
»Und Netzstrümpfe und Büstenhalter. Hab ich wirklich vergessen, dir von meinen kleinen Eigenheiten zu erzählen?«
Er grinste. Mit einem schnellen Griff zog er den Gürtel ihres blaugestreiften Baumwollkimonos auf. Er schob ihr den Kimono sacht über die Schultern, sodass er zu Boden fiel. Laura stand nackt da. Ihre glatten dunklen Haare, die sie normalerweise zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, fielen ihr über die Schultern und bedeckten ihre kleinen Brüste zur Hälfte. Jans Atem ging schneller, als er die Haarsträhnen nach hinten schob. Als Laura automatisch die Arme vor ihren Brüsten verschränken wollte, hinderte er sie mit einer leisen Geste daran.
»Nicht.«
Sie ließ die Arme fallen. Und stand einfach nur da. Ihre Haut fühlte sich an wie elektrisiert.
Mach schon. Ich kann es nicht mehr aushalten. Fass mich an. Trag mich ins Bett.
Obwohl sie in den letzten Wochen so oft miteinander geschlafen hatten, war dies doch ein besonderer Moment. Ihre erste gemeinsame Nacht in ihrem gemeinsamen Haus.
Jan knöpfte sein Hemd auf. Er ließ Laura dabei nicht aus den Augen. Wie unglaublich schön sie war. Perfekt proportioniert. Auch wenn sie behauptete, ihre Hüften seien zu breit und ihre Beine zu kurz. Er zog das Hemd aus seiner schwarzen Jeans und trat einen Schritt auf sie zu. Sie sah, wie seine Brust sich hob und senkte, spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Jetzt hob er sie hoch. Ihre Brüste berührten seinen nackten Oberkörper, und sie stand augenblicklich in Flammen. Er legte sie auf dem Bett ab. Fast wunderte es sie, dass es nicht leise zischte, als ihre glühende Haut die frische, kühle Bettwäsche berührte. Seine Augen waren dunkel, als er auf sie herabblickte. Regungslos. Sie öffnete ihre Beine ein Stück.
»Komm«, sagte sie. »Schlaf mit deiner Frau.«
Als er sich zu ihr legte und seinen Kopf mit einem leisen Stöhnen an ihrem Hals barg, blitzte ihr für eine Zehntelsekunde der Gedanke durch den Kopf, dass er ihre Frage, welche Frau in diesem Haus das Shalimar benutzt haben konnte, nicht beantwortet hatte.
Hanno hatte gerade die Hand gehoben, um an die rote Eingangstür zu klopfen. Er hatte eine Flasche Rotwein dabei und einen kleinen Korb mit etwas Brot, Butter und Schinken. Ein Mann wie Jan hatte sicher andere Dinge im Kopf als seine Verpflegung. Also wollte er ihm ein bisschen was bringen und ihn
Weitere Kostenlose Bücher