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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie reagierte: Wie immer ging er auf ihren Annäherungsversuch nicht ein.
    »Komm doch.«
    Sie drängte sich an seinen Rücken. Er spürte die Wärme ihrer Lippen durch den Stoff des Schlafanzugs. Wieso wollte sie nicht begreifen, dass er sie nicht mehr begehrte? Wieso versuchte sie es immer wieder? Er hätte den Mut finden müssen, ihr klipp und klar zu sagen, dass er nicht mehr wie ein Mann für sie empfand. Dass sie für ihn nichts anderes mehr war als eine Freundin. Eine Freundin zwar, um die er sich sorgte, mit der er auch gern redete oder aß. Oder hin und wieder verreiste. Aber er begehrte sie einfach nicht mehr. Meistens verstand sie es, wenn er nicht auf ihre Berührung reagierte, und ließ von ihm ab. In manchen Nächten befriedigte sie sich dann selbst, wobei sie keinen Versuch unternahm, dies diskret und lautlos zu tun. Vermutlich hoffte sie, dass ihre Erregung und ihr Stöhnen ihn doch noch animierten, sich zu ihr umzudrehen und auf ihr Angebot einzugehen. Heute verstand sie sein Signal nicht. Oder sie wollte es nicht verstehen. Ihre Hand wanderte über seinen Rücken nach vorne. Sie umfasste seinen Penis.
    »Er hat Sehnsucht nach mir.«
    Am liebsten hätte er sich umgedreht und ihr ins Gesicht geschlagen.
    Sie bewegte ihre Hand rhythmisch, ihr Atem ging schneller.
    »Ich liebe dich, Marius.«
    Sie keuchte vor Erregung.
    Er wusste nicht, wieso er es nicht tat. Er hätte sich nur umzudrehen und in sie einzudringen brauchen. Bestimmt wäre er ziemlich schnell gekommen und sie kurz nach ihm auch. Sie hätte sich zufrieden zur Seite gerollt, und es wäre vorbei gewesen. Aber er konnte das nicht. Er konnte einfach nicht mit der Frau schlafen, mit der er seit mehr als zehn Jahren verheiratet war. Wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, hätte er schon längst auf getrennten Schlafzimmern bestanden. Doch das Haus war zu klein. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer. Und dann gab es zwar noch ein kleines Arbeitszimmer, aber das Sofa, das darin stand, war kurz und schmal. Er konnte darauf nur in der allerhöchsten Not schlafen, um am nächsten Morgen wie gerädert aufzuwachen.
    »Sorry, ich muss aufs Klo.«
    Er konnte es nicht länger neben ihr aushalten.
    Er hasste den Mann, der ihm aus dem Spiegel entgegensah, den Mann in diesem lächerlichen Schlafanzug. Wann hatte er aufgehört, nackt zu schlafen? Er musste sich das nicht fragen; er wusste es genau: Fast zehn Jahre war es her. Eines Tages hatte er es nicht mehr ausgehalten, Elkes Berührungen auf seiner Haut zu spüren. Seit zehn Jahren schlief er nicht mehr mit seiner Frau. Oder fast nicht mehr. Hin und wieder gelang es ihr, ihn doch zu überrumpeln. Dann überließ er seinen Körper ihren Bedürfnissen und fühlte sich hinterher einfach nur schlecht. Natürlich, er war ein gesunder, immer noch junger Mann. Er hatte Bedürfnisse. Aber er redete sich ein, dass es ihm ausreichte, wenn er einmal im halben Jahr in ein Bordell nach Berlin oder Rostock fuhr und sich ansonsten gelegentlich selbst befriedigte. Morgens unter der Dusche. Elke, die ihn einmal dabei überrascht hatte und seitdem immer anklopfte, wenn sie ihn im Bad vermutete, hatte nie darüber geredet, dass zwischen ihnen sexuell nichts mehr lief. Sie tat ihm leid. Sie hatte es nicht verdient, von ihrem Mann so behandelt zu werden. Er hatte ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, natürlich. Aber er konnte nichts dagegen tun. Trennung, das war ihm klar, wäre die einzig faire, anständige Lösung gewesen. Einen Zustand herzustellen, von dem aus sie beide noch einmal neu würden anfangen können. Aber weder er noch sie hatten je den Mut gefunden, auch nur darüber zu sprechen. Sie hatten sich arrangiert, vielleicht aus Bequemlichkeit, vielleicht auch aus Angst, nach einer Trennung nicht mal mehr das zu haben, was sie jetzt hatten.
    Er hasste sich für seine Feigheit und versuchte sich damit zu beruhigen, dass Sex nun wirklich nicht das Wichtigste war auf der Welt. Eigentlich ging es ihnen ja nicht schlecht miteinander. Sie hatten beide einen Beruf, der sie nicht nur forderte, sondern auch zufrieden machte, sie wohnten in diesem zwar kleinen, aber sehr hübschen Haus, und sie machten Reisen, fuhren mit dem Boot. Elke kümmerte sich um die beiden Pferde, die immer noch Jan gehörten. Sie bewegte sie täglich. Und hin und wieder unternahmen sie auch zusammen Ausritte. Sicher ging es ihnen besser als vielen anderen.
    Und dennoch: Warum gelingt es mir nicht, sie glücklich zu machen? Am schlimmsten fand er, dass

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