Das Jahr der Kraniche - Roman
über das Gesicht ihres Gegenübers.
»Plathe? Sind Sie mit den Plathes vom Jägerhaus verwandt? Wieso hat mir niemand gesagt, dass es wieder so eine attraktive Frau in dieser Familie gibt?«
»Verwandt würde ich nicht gerade sagen. Eher verheiratet. Mein Mann ist Jan Plathe. Kennen Sie ihn?«
»Schade.«
Michael Persius bedauerte es spontan, dass diese schöne junge Frau verheiratet war. Und schalt sich im nächsten Moment einen alten Idioten. Sie war mindestens dreißig Jahre jünger als er. Er hätte ihr Vater sein können, wenn nicht sogar ihr Großvater. Und außerdem war er nun wirklich nicht mehr auf der Suche nach einer Frau. Nicht nach den letzten Katastrophen, die er mit seinen Gefährtinnen erlebt hatte.
»Ich… kannte vor Jahren Wilhelm Plathe und seine Frau Irina. Eine unglaublich schöne Frau ist das gewesen. Ihren Sohn habe ich leider nie getroffen. Er hat zu der Zeit irgendwo studiert.«
»In München, ja. Haben Sie meine Schwiegereltern gut gekannt?«
»Leider nicht so gut, wie ich es gewünscht hätte. Das nächste Mal, als ich hierher kam, um zu fotografieren, waren sie leider schon tot. Ich hab das wirklich sehr bedauert.«
Nachdenklich betrachtete er Laura. Also wohnte sie jetzt im Jägerhaus. Ob sie wohl glücklicher dort werden würde als ihre Schwiegermutter? Er erinnerte sich noch sehr genau an die elegante, überaus schlanke Frau mit den hellen Augen, in denen immer ein Hauch von Wehmut gelegen hatte. Wie hätte es auch anders sein können?– Natürlich hatte er sich damals sofort in sie verliebt. Die zehn Jahre Altersunterschied hatten ihm in keiner Sekunde ein Problem gemacht. Es war etwas an ihr gewesen, das ihn fasziniert und gereizt hatte. Ein unausgesprochenes Sehnen, hatte er damals gedacht. Der Wunsch, auszubrechen aus einem Leben, in das sie nicht hineingehörte. Er war sich nicht sicher, ob damals nicht der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen war. Er hatte sie vom ersten Augenblick, da er ihr gegenübergestanden hatte, begehrt. Möglicherweise hatte er sich nur deswegen ausgemalt, dass sie unglücklich sei, weil sich dadurch seine Chancen bei ihr erhöht hätten. Wenn sie nur einen Ton gesagt hätte, wenn sie ihm nur mit einer Geste– und wäre sie auch noch so klein gewesen– bedeutet hätte, dass er sie interessierte, er hätte sie an der Hand genommen und sie aus diesem dunklen Haus, in dem sie wie eine eingesperrte Prinzessin gewirkt hatte, weggeführt. Hätte sie mitgenommen in sein Leben, sie geliebt und glücklich gemacht.
Hätte, hätte, hätte…
Als er das nächste Mal zum Fotografieren hierher kam, war er fest entschlossen gewesen, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Er hatte ihr sagen wollen, dass er in den letzten zwei Jahren ununterbrochen an sie gedacht hatte. Dass er sie liebe und dass er hoffe, dass sie seine Gefühle erwidere. Doch es war zu spät gewesen. Vier Wochen, bevor er zurückgekehrt war, waren Wilhelm Plathe und seine wunderbare Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie waren auf der Autobahn Richtung Berlin gegen einen Brückenpfeiler geknallt und beide sofort tot gewesen. Am Steuer des Autos hatte Irina gesessen.
Michael Persius war in ein tiefes seelisches Loch gefallen, hatte sich sogar Vorwürfe gemacht. Was, wenn sie das Auto absichtlich gegen den Pfeiler gesteuert hatte, weil sie es nicht mehr ausgehalten hatte in ihrem Leben, das ihm so lust- und freudlos erschienen war? Was, wenn sie darauf gewartet hatte, dass er kommen und sie erlösen würde, und irgendwann die Hoffnung aufgegeben hatte? Dann wäre er schuld gewesen an ihrem Tod. Er hatte sich in seinem Schmerz vergraben, sich in Selbstmitleid gesuhlt. Und dann hatte er sich wieder dem Leben und einigen anderen Frauen zugewandt. Doch mit keiner hatte er das Leben führen können, das er sich mit Irina Plathe ausgemalt hatte.
»Und jetzt wohnen also Sie im Jägerhaus?«
Laura strahlte ihn an.
»Ja. Es ist das schönste Haus, in dem ich jemals gewohnt habe.«
Er fragte sich, ob sie etwas dagegen haben würde, wenn er sie fotografierte. Er hatte zwar schon lange keine Porträtfotos mehr gemacht, aber in einem früheren Leben als junger Fotograf hatte er sich seine ersten Sporen und vor allem das erste Geld damit verdient, Prominente zu porträtieren. Er hatte sich damals recht schnell einen ziemlich guten Ruf erworben, war oft gebucht worden und hatte gutes Geld verdient. Doch nach ein paar Jahren hatte er gemerkt, dass er anfing, sich zu langweilen. Und von einem
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