Das Jahr der Kraniche - Roman
hatte.
Vielleicht schenke ich ihr einfach ein anderes Parfum.
Tat man so was? Konnte man Frauen von ihrem Lieblingsduft abbringen? Er könnte sagen, dass er auf das Parfum allergisch reagierte, dass ihm leicht übel wurde, wenn er es roch. Laura würde sofort aufhören, es zu benutzen. Er könnte ihr aber auch sagen, dass Julia das gleiche Parfum verwendet hatte und er nicht an sie erinnert werden wollte. Auch dann würde Laura auf ein anderes Parfum umsteigen. Aber würde sie sich dann nicht immerzu fragen, ob es noch andere Dinge gab, die ihn an Julia erinnerten?
4
Die beiden Bilder lagen auf dem Boden, die Gläser in Scherben, die Rahmen zerbrochen. Laura schossen die Tränen in die Augen. Sie konnte sich nicht vorstellen, was geschehen war. Die Fenster waren geschlossen. Also konnte es nicht ein heftiger Windstoß gewesen sein, der eventuell hinter die Bilder gefahren und sie von der Wand gerissen hatte. Hatte Hanno, der die Bilder über dem Kamin aufgehängt hatte, möglicherweise die falschen Dübel benutzt, welche, die nicht genug Halt in dem alten Mauerwerk gefunden hatten? Vorsichtig nahm sie die Drucke vom Boden auf und legte sie auf den Tisch. Die beiden Landschaftsbilder, eines von Ernst Ludwig Kirchner, das andere von Paul Gauguin, liebte sie schon lange. Sie hatte sich die Drucke im Internet bestellt und sich wie ein Kind gefreut, als Hanno sie über dem Kamin angebracht hatte. Morgen würde sie nach Templin fahren und zwei neue Rahmen kaufen. Und dann würde sie die Bilder selbst wieder aufhängen. Mit extralangen Dübeln würde sie sie bombenfest anbringen.
Ein hohes Lachen sirrte durch den Raum, das sie herumriss. Die Frau war wieder da. Sie sah gerade noch den Zipfel eines roten Kleids, der an der Wohnzimmertür vorbeiwehte.
»Hallo! Warten Sie doch mal.«
Sie eilte in die Halle. Da war niemand. Ihre Brust wurde eng. Laura fühlte sich, als würde sie gleich umkippen.
Bitte nicht, lieber Gott.
In ihren Ohren rauschte es, ihre Hände waren eiskalt, Schweiß trat auf ihre Stirn. Die Angst presste ihr Herz zusammen wie eine kalte Hand.
Ich will das nicht. Ich lasse das einfach nicht zu. Ich lasse mich nicht von hier vertreiben. Hörst du das, Julia? Mach, was du willst, aber ich bleibe hier!
Instinktiv ging sie in die Hocke. Das würde ihren Kreislauf stabilisieren. Sie lehnte sich an die Wand, umklammerte ihre Knie und zwang sich, ganz bewusst auf ihren Atem zu achten. Ein und aus. Ein und aus. Verdammt, sie war hier doch nicht in einem Horrorfilm. Draußen schien die Sonne, die Vögel zwitscherten, irgendwo bellte ein Hund. Das war das reale Leben, und sie war mittendrin. Als ihr Atem ruhiger geworden war, stand sie auf. Vorsichtig sammelte sie die Scherben zusammen. Die zerbrochenen Bilderrahmen legte sie an den Kamin. Jan konnte sie verheizen, wenn er das nächste Mal wieder Feuer machen würde. Ein Sonnenstrahl fiel schräg in das Zimmer. Um diese Zeit, wenn die Sonne schon tief stand, reichte sie bis an die gegenüberliegende Wand, die sonst immer im Halbdunkel lag. Dort lehnte noch immer das Ölgemälde, das vorher über dem Kamin gehangen hatte. Sie hatte noch keine Gelegenheit gefunden, Jan zu fragen, was damit geschehen sollte. Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie irritierte. Das Gemälde– irgendetwas damit war jetzt, da es plötzlich von der Sonne beschienen war, anders als vorher. Aus dem Dunkel der Kirchenruine, die unter einem schweren schwarzen Himmel stand, düster und bedrohlich, leuchtete jetzt ein roter Farbfleck. Laura hatte ihn noch nie bemerkt. Ihr war das Bild vom ersten Tag an in einer ihr nicht erklärlichen Weise beängstigend erschienen. Als würde diese Backsteinruine von geschehenem Unheil erzählen. Sicher, sie hatte durchaus erkannt, dass der unbekannte Künstler aus der Gegend, der dieses Bild gemalt hatte, ein Meister gewesen war. Aber sie hatte trotzdem sofort gewusst, dass sie es nicht ständig sehen wollte. Als sie sich dem Gemälde näherte, erkannte sie verblüfft, dass der rote Fleck, der aus dem Inneren der Ruine herausleuchtete, das Kopftuch einer betenden Frau war, die, ins Gebet versunken, winzig zwischen den hohen Mauern kniete. Die Sonne wanderte weiter, und wie durch Zauberhand versank die kleine Gestalt wieder in den Braun- und Grautönen, die das Bild beherrschten. Wie einsam diese Gestalt war, ganz allein in einer bedrohlichen Umgebung. Worum sie wohl beten mochte? Flehte sie ihren Gott um Hilfe an? Oder darum, dass er ihr einen Weg
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