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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Weg gefunden, ihrem Elend zu entkommen, als den Tod. Daran gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel.
    »War der eigentlich immer so komisch?«
    Marius konnte sich den Auftritt von Michael Persius heute Abend nicht erklären.
    »Ich kenne ihn ja nicht gut, aber die paar Mal, die ich ihn getroffen habe, war er witzig und charmant. Ein bisschen oberflächlich vielleicht, aber bei seinen Buchvorstellungen hat er die Leute mit seinem Geplauder immer sofort auf seine Seite ziehen können. Ich habe keine Ahnung, wovon er vorher überhaupt geredet hat. Jedenfalls tut Laura mir leid. Sie hat sich so viel Mühe mit dem Essen gegeben, und dann kommt dieser Quatschkopf daher und verdirbt alles. Ich finde das unmöglich.«
    Und wenn es stimmte, dass die Frauen in diesem Haus tatsächlich nicht glücklich werden konnten? Marius wusste, dass Michael Persius recht hatte, wenn er behauptete, dass Jans Mutter unglücklich gewesen war. Er selbst hatte eine Depression bei ihr festgestellt und sie über Jahre hinweg mit Antidepressiva behandelt. Er erinnerte sich, wie sie vor ihm gesessen und ihn dazu verdonnert hatte, niemandem etwas davon zu erzählen, wie es ihr ging. Er hatte ein paar Mal versucht, sie zu einer Psychotherapie zu überreden. Aber das hatte sie strikt abgelehnt.
    »Wenn ich herausfinde, wieso ich depressiv bin, wird das auch nichts ändern.«
    Es war ihm nicht gelungen, sie davon zu überzeugen, dass es wichtig wäre, den Grund für ihre seelische Konstellation zu finden. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie in einer tiefen Dunkelheit gefangen war, und ihn nur darum gebeten, ihr Mittel zu verschreiben, die aus dem Schwarz, in das sie gehüllt war, wenigstens ein Grau machen konnten. Nach außen hin war es ihr gelungen, den Anschein zu vermitteln, dass sie zwar sehr in sich gekehrt, aber ausgeglichen und zufrieden war. Nicht einmal ihrem Mann hatte sie ihren wahren Zustand offenbaren wollen. Marius hatte sich ihrem Willen gebeugt. Und irgendwann hatte er aufgehört, darüber nachzudenken, ob es nicht besser für seine Patientin gewesen wäre, wenn sie weit weg von ihrem Mann, weit weg von ihrem Haus ein ganz anderes Leben angefangen hätte.
    »Jedenfalls war Irina die glücklichste Frau, die ich kannte«, fuhr Elke fort. »Ich habe Jan immer um sie beneidet. Sie war zufrieden mit ihrem Leben. Sie hat Jan geliebt, und ihren Mann auch. Dass Julia in dem Haus nicht sonderlich glücklich war, ist doch eine ganz andere Sache.«
    Und wenn nicht? Wenn es in diesem Haus so viele negative Schwingungen gab, dass ein sensibler Mensch ihnen gar nicht entgehen konnte? Das habe ich jetzt nicht wirklich gedacht! Marius hielt sich für einen rationalen, pragmatischen Menschen, der auf so etwas wie Feng Shui oder anderen esoterischen Humbug noch nie etwas gegeben hatte. Negative Schwingungen? Was für ein Blödsinn. Ein Haus ist ein Haus ist ein Haus, nicht mehr und nicht weniger. Für die Atmosphäre sind die Menschen zuständig, die darin leben. Sie allein waren dafür verantwortlich, wie sie sich in ihren vier Wänden fühlten.
    Das beste Beispiel dafür war doch Laura. Sie hatte in kürzester Zeit aus dem düsteren Haus ein helles behagliches Zuhause für sich und Jan gemacht. Und es ging ihr gut.
    Marius legte sich ins Bett. Er wandte, wie immer, Elke den Rücken zu.
    »Glaubst du, dass Laura bei Jan bleiben wird?«
    Elke schob sich an seinen Rücken.
    »Wieso sollte sie nicht?«
    Seine Muskeln spannten sich an, als er Elkes Hand auf seiner Brust spürte.
    »Jedenfalls gibt sie sich viel Mühe, alles richtig zu machen. Das ist doch gut, oder?«
    »Es ist spät, Elke. Ich muss schlafen. Morgen wird ein langer Tag.« Er nahm Elkes Hand von seiner Brust. »Gute Nacht. Schlaf gut.«
    »Du auch.«
    Elke lauschte auf Marius ’ Atem, der ruhig und gleichmäßig ging. Sie wusste, dass er nur so tat, als sei er eingeschlafen. Wie so oft in diesen einsamen Nächten, die sie an der Seite ihres Mannes verbrachte, fragte sie sich, woran er wohl dachte, wenn er vorgab zu schlafen.
    Die Frau mit den dunklen Haaren lief lachend über eine Waldwiese, die von Tausenden weißer Buschwindröschen übersät war. Ihr rotes Kleid leuchtete unter dem grünen Dach der hohen Buchen. Ein schwarzer Hund tollte um sie herum.
    »Komm doch, Jan. Komm mit mir.«
    Jan stand neben Laura in einem schwarzen Moor. Die Bäume um sie herum waren kahl. Grau reckten sie die Äste in den Nebel.
    »Komm, Jan. Komm schon.«
    Immer weiter entfernte sich die Frau.

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