Das Jahr der Kriesen
genannt.« Sie setzte hinzu: »Er ist ein Farbiger. Wenn Ihnen das hilft, ihn zu identifizieren.«
»Das tut es nicht«, erwiderte Jim. »Aber ich werde trotzdem mit ihm reden.« Es war klar, daß er froh war, die Unterhaltung mit Sal abbrechen zu können. Erleichterung zeigte sich auf seinem Gesicht. »Bringen Sie mir das Vidphon her, Dotty.«
»Ja, Mr. Briskin.« Sie verschwand und war gleich darauf zurück. Sie trug den Nebenapparat des Vidphons.
»Danke.« Jim Briskin drückte die Wartetaste, löste sie, und der Vidschirm leuchtete auf. Ein Gesicht bildete sich, dunkelhäutig und hübsch, ein Mann mit einem stechenden Blick, gut gekleidet und offensichtlich aufgeregt. Wer ist das, fragte sich Sal Heim. Ich kenne ihn. Irgendwo habe ich ein Bild von ihm gesehen.
Dann nannte der Mann seinen Namen. Es war der großartige N’Yorker Detektiv, der für Myra Sands arbeitete, ein Mann namens Tito Cravelli, und er war tatsächlich ein unangenehmes Individuum. Was wollte der von Jim?
Tito Cravellis Abbild sagte: »Mr. Briskin, ich würde gerne mit Ihnen zu Mittag essen. Unter vier Augen. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen, das nur Sie und mich etwas angeht. Es ist lebenswichtig für Sie, das versichere ich Ihnen.« Mit einem Blick auf Sal Heim fügte er hinzu: »So lebenswichtig, daß ich niemanden sonst dabeihaben will.«
Vielleicht wird dies ein Mordversuch, dachte Sal Heim. Irgendwer, ein Fanatiker von CLEAN, von Verne Engel und seinem Haufen Verrückter geschickt. »Du gehst besser nicht, Jim«, sagte er laut.
»Vielleicht sollte ich wirklich nicht gehen«, meinte Jim. »Aber ich tue es trotzdem.« Zu dem Bild auf dem Vidschirm sagte er: »Wann und wo?«
Tito Cravelli sagte: »Es gibt da ein kleines Restaurant in der N’Yorker Slumgegend, im Fünfhunderterblock der Fifth Avenue. Ich esse immer dort, wenn ich in N’York bin – das Essen wird von Hand zubereitet. Es heißt Scotty’s Laden. Ist das zufriedenstellend? Sagen wir – um ein Uhr mittags, N’Yorker Zeit.«
»In Ordnung«, stimmte Jim Briskin zu. »In Scotty’s Laden um ein Uhr. Ich war schon einmal dort.« Er fügte beißend hinzu: »Sie sind bereit, Farbige zu bedienen.«
»Jeder bedient Farbige«, versetzte Tito, »wenn ich dabei bin.« Er brach die Verbindung ab. Der Schirm verblaßte und erlosch.
»Das gefällt mir nicht«, brummte Sal Heim.
»Wir sind sowieso ruiniert«, erinnerte ihn Jim. »Hast du das nicht vor erst einer Minute gesagt?« Er lächelte lakonisch. »Ich denke, für mich ist die Zeit gekommen, mich an Strohhalme zu klammern, Sal. An jeden Strohhalm, sogar an diesen.«
»Was soll ich George Walt sagen? Sie warten. Ich soll innerhalb von vierundzwanzig Stunden einen Besuch von dir auf dem Satelliten arrangieren – das wäre bis heute abend, sechs Uhr.« Er holte sein Taschentuch heraus, dann wischte sich Sal Heim über die Stirn. »Danach...«
»Danach«, sagte Jim, »werden sie sich systematisch daranmachen, gegen mich zu agitieren.«
Sal nickte.
»Du kannst George Walt ausrichten«, sagte Jim, »daß ich in meiner Chicagoer Rede heute mit der Schließung des Satelliten herauskommen und das befürworten werde. Und wenn ich gewählt werde...«
»Sie wissen es schon«, sagte Sal Heim. »Es gibt eine undichte Stelle.«
»Es gibt immer eine undichte Stelle.« Jim wirkte nicht beunruhigt.
Sal griff in seine Manteltasche hinein und holte einen versiegelten Umschlag hervor. »Hier ist mein Rücktritt.« Er hatte ihn einige Zeit mit sich herumgetragen.
Jim Briskin nahm den Umschlag entgegen. Ohne ihn zu öffnen, steckte er ihn in seine Manteltasche. »Ich hoffe, du wirst dir meine Chicagoer Rede ansehen, Sal. Es wird eine wichtige Rede sein.« Er lächelte seinen Ex-Wahlkampfmanager bekümmert an. Sein Schmerz über diesen Zusammenbruch ihrer Beziehung zeigte sich in den tiefen Furchen seines Gesichts. Der Bruch hatte sich schon lange abgezeichnet, hatte während ihrer zurückliegenden Diskussionen in der Atmosphäre zwischen ihnen gehangen.
Aber Jim hatte vor, trotzdem weiterzumachen. Und zu tun, was getan werden mußte.
5
Als Jim Briskin per Jet’axi zu Scotty’s Laden flog, dachte er: Wenigstens muß ich mich jetzt nicht gegen Lurton Sands erklären. Ich muß zu keinem Thema mehr Sals Rat befolgen, denn wenn er nicht mehr mein Wahlkampfmanager ist, kann er mir nicht mehr sagen, was ich zu tun habe. In gewissem Maße war es eine Erleichterung. Aber auf einer tieferen Ebene fühlte sich Jim Briskin
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