Das Jahr der Krisen
Basis vorgenommener Selbstzerstörung vorzuziehen. Wie weit ist Ihre Schwangerschaft fortgeschritten, Liebes?«
»Etwa eineinhalb Monate«, sagte Rachael Chaffy und hob den Kopf um eine Spur. Sie brachte es fertig, Myras Blick zu begegnen, einen Moment lang wenigstens.
»Dann stellt die Durchführung einer Abtreibung keinerlei Schwierigkeiten dar«, sagte Myra. »Es ist Routine. Wir können es für heute mittag arrangieren und haben es um sechs geschafft. In jeder einzelnen der zahlreichen kostenlosen Regierungs-Abtreibungskliniken hier in der Gegend. Nur einen Augenblick.« Ihre Sekretärin hatte die Tür zum Büro geöffnet und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. »Was ist denn, Tina?«
»Ein dringender Anruf für Sie, Mrs. Sands.«
Myra aktivierte ihr Schreibtisch-Vidphon. Auf dem Schirm entstanden Tito Cravellis Züge als Wiedergabe, kurzatmig vor Aufregung.
»Mrs. Sands«, sagte Tito, »tut mir leid, Sie so früh heute morgen in Ihrem Büro zu belästigen. Aber eine Anzahl von Aufspürgeräten, die wir hier verwendet haben, haben ihre Tätigkeit eingestellt und sind zurückgekommen. Ich dachte, es würde Sie interessieren. Cally Vale ist nirgendwo auf der Erde. Das steht absolut eindeutig fest. Es ist endgültig.« Daraufhin war er still und wartete, daß sie etwas sagte.
»Dann ist sie ausgewandert«, vermutete Myra, wobei sie sich die zierliche und fast übelkeitserregende zarte Miss Vale in der zerklüfteten Umgebung des Mars oder Ganymed vorzustellen versuchte.
»Nein«, sagte Tito Cravelli nachdrücklich und schüttelte den Kopf. »Das haben wir natürlich überprüft. Cally Vale ist nicht ausgewandert. Es ergibt keinen Sinn, aber so ist es. Kein Wunder, daß wir nicht vorwärts kommen – wir sind mit einer unmöglichen Situation konfrontiert.« Er schien nicht sehr glücklich darüber. Seine Gesichtszüge hingen mürrisch herunter.
Myra sagte: »Sie ist nicht auf der Erde, und sie ist nicht ausgewandert. Dann muß sie …« Es war offensichtlich für sie. Warum hatten sie nicht sofort daran gedacht, als Cally verschwunden war? »Sie ist in ein Regierungs-Lagerhaus gegangen. Cally ist ein Flakky.« Es war die einzige verbleibende Möglichkeit.
»Das prüfen wir nach«, sagte Tito, allerdings ohne Enthusiasmus. »Ich gebe zu, daß es möglich ist, aber – offen gesagt – ich glaube es einfach nicht. Ich persönlich denke, daß sie sich etwas Neues ausgedacht haben, etwas Originelles, ich würde meinen Job darauf verwetten, alles, was ich habe.« Titos Tonfall war jetzt beharrlich. Nicht mehr zögernd.
»Aber wir werden alle Lagerhäuser des Amtes für SÖW überprüfen, sämtliche vierundneunzig. Das wird mindestens ein paar Tage dauern. Inzwischen …« Er sah das junge Paar, die Chaffys, das schweigend wartete. »Vielleicht bespreche ich das später mit Ihnen – es besteht keine Dringlichkeit.«
Möglicherweise ist tatsächlich das passiert, was die Vidblätter andeuten, dachte Myra bei sich. Vielleicht hat Lurton sie tatsächlich umgebracht. Damit sie von Frank Fenner nicht zur Verhandlung vorgeladen werden kann.
»Glauben Sie, daß Cally Vale tot ist?« fragte Myra Tito unumwunden. Sie ignorierte das ihr gegenüber sitzende junge Paar. Sie spielten im Moment keine Rolle: Dies hier war viel zu wichtig.
»Ich bin nicht in der Lage …« begann Tito. Myra unterbrach ihn. Sie brach die Verbindung ab, und der Bildschirm erblaßte. Ich bin nicht in der Lage, das zu sagen, beendete sie für ihn. Aber wer ist das schon? Lurton? Vielleicht weiß nicht einmal er, wo Cally ist. Sie kann ihm weggelaufen sein. Zum Goldenes-Tor-Momente-der-Freude-Satelliten gegangen sein und sich unter einem angenommenen Namen dem Heer der Mädchen dort angeschlossen haben. Voller Wonne erwog Myra dies, stellte sich die Geliebte ihres früheren Mannes als eine von Thisbes Kreaturen vor: geschlechtslos und mechanisch und automatisch. Welcher wird es sein, Cally? Nummer eins, zwei, drei oder vier? Nur liegt die Wahl nicht bei dir. Sie liegt bei ihnen. Jedesmal. Myra lachte. Dort müßtest du sein, Cally, dachte sie. Für den Rest deines Lebens.
»Bitte verzeihen Sie die Unterbrechung«, sagte Myra zu dem jungen Paar, das ihr gegenüber saß. »Und erzählen Sie weiter.«
»Nun«, sagte das Mädchen Rachael unbeholfen, »Art und ich meinen, daß … wir haben über die Abtreibung nachgedacht, und wir wollen es einfach nicht tun. Ich weiß nicht, warum, Mrs. Sands. Ich weiß, wir sollten. Aber … wir können
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