Das Jahr der Maus
Temperatur von 17 Grad auf über 1000 Grad heiße Lava, eine Interaktion, bei der ungeheure Dampfwolken entstehen, so daß man nicht mehr sehr viel von dem sieht, was man gerade tut. Aber man muß sehen, was man tut, denn während man seinen Lavadamm am vorderen Rand der austretenden Schmelze aufbaut, kann es allzu leicht passieren, daß man die Lava nicht eindämmt, sondern vielmehr ablenkt, so daß sie auf etwas zufließt, was sie nicht treffen soll. Wie zum Beispiel auf den Feuerwehrwagen unten am Block oder auf unbeschädigte Gebäude auf der anderen Straßenseite.
Man muß seinen Schlauch also wie ein Bildhauer schwenken, muß herumtanzen und mit großer Präzision spritzen, den Damm hier erhöhen und dort absenken und dabei ständig die Bodenneigung, die Fähigkeit des Untergrunds, das Gewicht des neuen Gesteins zu tragen, und die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die Lava, an der man gerade arbeitet, auf einmal vielleicht beschließt, ihr Ausflußtempo von fünfzehn Meter pro Stunde auf beispielsweise fünfzehn Meter pro Minute zu erhöhen, so daß der Strom im Handumdrehen über den kleinen Damm schwappt, man auf einmal bis zum Hintern in Lava steht und – noch mit dem baumelnden Schlauch in der Hand – ein fester Bestandteil der Landschaft wird. Aus diesem Grund ist die Sichtscheibe des Lava-Anzugs mit Infrarotfiltern ausgerüstet, mit deren Hilfe man durch all den wogenden Dampf sehen kann, den man bei seiner Arbeit so eifrig erzeugt.
Und man muß auch noch andere Dinge bedenken. Zusammen mit der Lava kommen aus dem Kern der Erde diverse Gase herauf, die keineswegs alle gutartig sind. Chlor, Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid – durchaus möglich, daß Miasmen aller Art wie in einem riesigen Blasrohr zur Oberfläche emporschießen. Obwohl das alles giftige Gase sind, ist man durch den Anzug mehr oder weniger gegen sie geschützt; die Gase können jedoch Fragmente weißglühender Lava mit sich führen, die wie Geysire herausschießen und überall in der Umgebung herunterkommen, also auch da, wo man zufällig gerade steht. Deshalb sollte man bei der Arbeit auf seltsame neue Zisch-, Brüll- und Pfeiflaute horchen, ganz besonders auf ein Geräusch, das dem Pfiff einer altmodischen Lokomotive ähnelt, die auf einen zukommt. Mattison hat des öfteren hastig den Rückzug angetreten, hat seine Pumpe manchmal mitgenommen, sie manchmal aber auch stehenlassen und ist wie der Teufel weggerannt, während eine lokal begrenzte Eruption an seinen Fersen gezupft hat.
Heute morgen geschieht jedoch nichts dergleichen. Diese Arcadia-Sache ist nur ein klitzekleiner, isolierter Lava-Ausbruch ohne besondere Komplikationen, außer natürlich für den Besitzer des Burrito-Ladens. Mit der fachmännischen Hilfe von Marcus Hawks, der erst vor acht Monaten aus einem Crack-Haus in El Segundo gekommen ist, und Lenny Prochaska, dessen kräftige Unterarme Nadeleinstiche tragen, die wie Freeway-Kreuzungen aussehen, erzeugt Mattison geschickt eine niedrige Mauer aus abgekühlter Lava am vorderen Rand des Ausbruchs und fügt dann ein Anschlußstück an der rechten und ein weiteres an der linken Seite hinzu, so daß ein U entsteht. Anschließend konzentrieren sie sich darauf, die neue Lava überall dort auszuhärten, wo sie über die Ränder ihrer Mauer quillt. Der Abkühlungsprozeß geht sehr schnell vonstatten. An der Vorderseite der Mauer ist die Temperatur der Lava auf 250 Grad gesunken, und sie glüht kaum noch, jedenfalls nicht an der äußeren Kruste. Mattison schätzt, daß die von ihm geschaffene Kruste vielleicht sieben, acht Zentimeter dick ist, eine Haut aus massivem Basalt über dem höllischen Zeug dahinter.
An der ursprünglichen Austrittsstelle sickert natürlich immer noch pausenlos Lava aus dem Boden und wird das hier wahrscheinlich auch noch weitere sechs oder sieben Stunden lang tun, vielleicht sogar ein oder zwei Tage. Aber der Damm müßte sie eigentlich aufhalten und verhindern, daß sie auf den Colorado Boulevard hinausläuft, eine wichtige Durchgangsstraße, die unbedingt offengehalten werden muß. Statt dessen wird sich die Lava weiterhin dort anhäufen, wo vorher der Burrito-Laden gestanden hat, und schließlich einen kleinen Berg von vielleicht fünf oder sechs Metern Höhe bilden. Außer natürlich, sie beschließt, statt dessen ein paar Dutzend Meter weiter unten an der Straße durch den Erdboden zu brechen, aber Mattison glaubt nicht, daß das hier geschehen wird.
Er
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