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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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fragt sich manchmal, wie das Leben hier sein wird, wenn all das vorbei ist, wenn die Vulkane erloschen sind und die gesamte östliche Hälfte des Los-Angeles-Beckens mit neuen kleinen Bergen inmitten ehemals belebter Wohnviertel übersät ist. Wird man sie alle mit Dynamit sprengen? Um sie herum oder auf sie draufbauen? Und wo werden sie die Ersatz-Freeways für diejenigen hinsetzen, die jetzt unter abkühlender, zu massivem Stein erstarrender Lava begraben sind?
    Zum Teufel, es ist nicht sein Problem. Das ist eins seiner Mantras: Nicht mein Problem. Er hat selber genug Probleme. Zwar hat er die momentan im Griff, aber das muß nicht unbedingt so bleiben, wenn er sich freiwillig noch andere auflädt. Er hat auch gelernt, sich die Phrase Morgen ist auch noch ein Tag ins Gedächtnis zu rufen, sobald er anfängt, sich über Dinge Gedanken zu machen, die eigentlich nicht sein Bier sind. Immer mit der Ruhe. Ja. Eins nach dem anderen. Das ist eine absolut korrekte Einstellung. Soll sich doch jemand anders mit der Frage beschäftigen, wie man Los Angeles repariert, sobald das alles vorbei ist. Er wird für den Rest seines Lebens vollauf mit der Frage beschäftigt sein, wie er mit Cal Mattison zurechtkommen soll.
    Die Brände in den umliegenden Gebäuden sind jetzt so gut wie gelöscht. Einer der Feuerwehrmänner kommt herüber und fragt ihn, wie es aussieht. »Unter Kontrolle«, erklärt ihm Mattison. »Nur noch ’n paar Aufräumarbeiten.«
    »Sollen wir hierbleiben, nur für den Fall?«
    Mattison überlegt einen Augenblick. »Habt ihr hier in der Nähe noch was zu tun?«
    Der Feuerwehrmann zeigt mit der Hand. »Da ist eine ganze Kette von den Dingern, vom Freeway bis zur Duarte. Wenn Sie der Meinung sind, daß die Lava nicht rauskommt, können wir weiter nach Süden runter. Auf der Duarte gibt’s einen schlimmen Brand, direkt an der Grenze nach Monrovia.«
    »Dann fahrt hin«, sagt Mattison. »Wenn’s hier Probleme gibt, ruf ich euch zurück.«
    Echtes Krisenmanagement. Er hat ein gutes Gefühl dabei. Es hat mal eine Zeit gegeben, da wollte er absolut nicht derjenige sein, der in irgendeinem Punkt Entscheidungen traf.
    Aber jetzt, in diesem Moment, vertraut er selbstbewußt auf sein Urteil. Sie haben gute Arbeit geleistet. Er verspürt ein Hochgefühl, als ob ein halbe Flasche Crown Royal durch seine Adern strömen würde, sanft und angenehm und warm.
    Die Feuerwehrmänner fahren ab und lassen nur zwei Mann als Aufsicht für die Aufräum- und Berichterstattungsphase ihres hiesigen Einsatzes zurück. Mattison gibt seiner bis zum Hydranten gestaffelten Crew das Zeichen, das Wasser abzudrehen, und geht nach vorn auf den Lavadamm. Man kann jetzt drauftreten, zumindest wenn man Schuhsohlen aus Traktorenreifen hat wie er. Er prüft die runzlige neue Haut. Sie hält. Leise, anmutige Klirrlaute kommen von ihr herauf, die Geräusche fortwährender Abkühlung und Aushärtung, aber sie trägt sein Gewicht. Es ist ein bißchen, als würde er auf frischem Eis laufen, nur daß unter der zerbrechlichen Oberfläche Gesteinsschmelze statt eiskaltes Wasser ist, und wenn er durchbricht, dann wird ihm das sehr leid tun, aber nicht lange. Er rechnet jedoch nicht damit, daß er durchbricht, sonst wäre er nicht hier oben.
    Mattison läuft nicht nur aus Angeberei auf dem Damm herum. Er muß die Feinheiten seiner Konstruktion überprüfen. Der Damm wölbt sich im Fünfundvierzig-Grad-Winkel nach oben und hinten, und da er den Rand gern noch ein bißchen steiler hätte, geht er vorn auf der Mauer entlang und trimmt und formt die Grenze zwischen neuem Gestein und heißer Lava mit dem Schaufelfortsatz seines Anzugs. Er spürt nicht viel mehr als milde Wärme in seinem Anzug, jedenfalls bis er eine Stelle erreicht, wo schwelendes Rot durch das Schwarz zu sehen ist, ein winziger Riß im Damm, nicht gefährlich, aber eine Beleidigung für sein Handwerkerauge. Er tritt zurück, bittet Foust und Herzog über Helmfunk, das Wasser noch mal aufzudrehen, und befiehlt Hawks und Prochaska, dem Riß ein paar Spritzer zu verpassen.
    Dann prüft er die Rückseite der Lavafront, um sich zu vergewissern, daß die Lava nicht einfach am hinteren Rand des von ihm geschaffenen Doms austreten und in die andere Richtung laufen wird, in den Wohnblock hinter dem Ort des Geschehens. Aber nein, nein, die hervorquellende Lava häuft sich ruhig auf und füllt den Raum hinter dem Damm, und nichts deutet darauf hin, daß sie vorhat, in eine neue Richtung zu wandern. Gott sei

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