Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
Dank. Aufgrund der Lage des Magma-Sees in Relation zu der riesigen unterirdischen Verwerfungslinie, die diese ganze Sache ausgelöst hat, bewegen sich die Oberflächenströme nämlich tendenziell konstant in einer Richtung, steigen auf einer diagonalen Linie aus dem Erdinnern auf und wandern im allgemeinen nur von Ost nach West. Dabei schwappen sie natürlich auch mal ein bißchen hin und her – Lava ist schließlich eine Flüssigkeit –, bewegen sich aber in der Regel nicht mit unvorhersehbaren Windungen und Wendungen dorthin zurück, woher sie gerade gekommen sind.
    Noch während Mattison alles zusammenpackt, funkt ihn Gibbons aus dem Transporter an. »Sie wollen, daß wir nach San Dimas kommen, wenn wir hier fertig sind.«
    »Du meine Güte«, sagt Mattison. »San Dimas liegt aber verdammt weit östlich. Ist da inzwischen nicht schon alles gelaufen?«
    »Anscheinend nicht. Sieht so aus, als würde da demnächst was Neues passieren.«
    »Sag ihnen, wir brauchen vorher ’ne Mittagspause.«
    »Sie haben gesagt, wir sollen …«
    »Ja, ja«, sagt Mattison. »Wir sind keine beschissenen Soldaten, weißt du. Wir sind freiwillige Bürger, und einige von uns haben hier draußen den ganzen Vormittag wie Kulis geschuftet. Wir machen eine Mittagspause, bevor wir uns heute noch mal den Arsch aufreißen. Sag ihnen das, Barry.«
    »Tja …«
    »Sag es ihnen!«
     
    Wie Mattison vermutet hat, ist die Sache in San Dimas ernst, aber nicht katastrophal, wenigstens noch nicht. Die ersten Warnzeichen deuten darauf hin, daß dort ein schwerer Ausbruch bevorsteht, und alle verfügbaren Hilfstrupps werden hinbeordert, aber in der nächsten Stunde kommt es nicht auf ein Team mehr oder weniger an. Sie kriegen ihre Mittagspause.
    Das Mittagessen besteht aus Sandwiches und Säften, einen halben Block vom Schauplatz des Geschehens entfernt. Sie steigen aus ihren Anzügen, lassen sie wie abgelegte Häute offen auf der Straße stehen, setzen sich an den Randstein und essen. »Jetzt hätte ich nichts gegen ein Bier einzuwenden«, sagt Evans, und Hawks meint: »Warum wünschst du dir nicht gleich ’ne Flasche Champagner, wo du schon mal dabei bist? Kostet auch nicht mehr als Bier, wenn’s bloß Wünsche sind.«
    »Champagner hab ich noch nie gemocht«, sagt Paul Foust. »Ich hab immer Cognac getrunken. Bei mir mußte es Kur-voa-si-eh sein.« Er schmatzt. »Ich kann ihn praktisch noch schmecken. Dieser grandiose Traubengeschmack auf der Zunge – und wie er dann so weich runterläuft, durch die Kehle und in den Bauch …«
    »Hör auf damit«, sagt Mattison. Dieses dumme Geschwätz rührt an Dinge in seinem Innern, die er lieber nicht berührt haben möchte.
    »Da fährt man immer wieder drauf ab«, erklärt ihm Foust.
    »Ja. Ja, ich weiß das, du blöder Arsch. Glaubst du, ich weiß das nicht? Hör auf damit!«
    »Können wir dann über Sachen zum Rauchen reden?« fragt Marty Cobos.
    »Oder übers Fixen?« Mary Maude Gulliver hat sich für ihr täglich Koks auf dem Hollywood Boulevard verkauft. »Laßt uns auch übers Fixen reden.«
    »Halt deine blöde Fresse, du verdammte Nutte!« sagt Lenny Prochaska. »Was mußt du mit meinem Kopf rumspielen?«
    »Wieso, warst du mal auf der Nadel, oder was?« fragt ihn Mary Maude zuckersüß.
    »Du Nutte, ich werf dich in die Lava.« Prochaska steht auf und geht auf sie zu. Mary Maude wiegt rund fünfundvierzig Kilo, Prochaska vielleicht hundertfünfundzwanzig. Er könnte es buchstäblich im Handumdrehen tun.
    »Lenny«, sagt Mattison warnend.
    »Dann sag ihr, sie soll mich in Ruhe lassen.«
    »Ihr alle«, sagt Mattison. »Laßt euch gegenseitig in Ruhe. Herrgott noch mal, glaubt ihr, es ist für die anderen auch nur eine Spur leichter, als es für euch gewesen ist?«
    Er weiß, es kommt von der nervlichen Belastung durch die Arbeit an diesem Vormittag. Sie stehen alle fortwährend am Rand des Abgrunds, immer in Gefahr, in ihre jeweiligen Höllen zurückzufallen, und sind deshalb ständig dermaßen aufgedreht, daß sie einander schnell mal auf die Nerven gehen. Natürlich steht er selbst ebenfalls an diesem Rand, wird immer dort stehen und das auch bestimmt nie mehr vergessen, aber er ist auf dem Wege der Besserung und sie nicht, nicht richtig, noch nicht, und deshalb ist der Rand für sie schmaler als für ihn. Jeder von ihnen hat es zumindest geschafft, die Abstinenz-Ebene zu erreichen, aber dorthin kann man einfach dadurch gelangen, daß man sich an ein Bett ketten läßt; das befreit einen zwar aus

Weitere Kostenlose Bücher