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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Wasserversorgung nicht zusammenbricht, wenn die Pumpe nicht den Geist aufgibt, wenn die Lava keine Überraschungen bezüglich ihrer Geschwindigkeit ausheckt, wenn kein verirrter heißer Steinbrocken durch die Luft fliegt und ein Loch in einen der Schläuche brennt, wenn es keine neue Eruption direkt unter ihnen und auch kein Erdbeben gibt, wenn dies, wenn das – nun, dann können sie in ein, zwei Stunden vielleicht Schluß machen, zum Haus zurückfahren und sich eine wohlverdiente Ruhepause gönnen.
    Vielleicht.
    Aber jetzt ändert sich die Lage allmählich. In der Mitte ist die Lava zwar säuberlich eingesperrt, doch der Großteil der Schmelze hat sich in den rechten Strom verlagert, und dieser wird immer dicker und schneller. Daraus ergibt sich die häßliche Möglichkeit, daß Mattisons Damm eher eine Umleitung als eine Eindämmung bewirkt und im Begriff ist, den gesamten Strom, der bisher von Osten nach Westen gewandert ist, in südliche Richtung zu lenken.
    Die Vulkanzentrale überwacht die ganze Aktion über Satellit, und jemand da oben macht Mattison über Helmfunk ungefähr eine Fünfzehntelsekunde, nachdem dieser das Problem selbst erkannt hat, darauf aufmerksam. »Schaffen Sie Ihre Ausrüstung auf die rechte Seite Ihres Damms«, sagt die Vulkanzentrale. »Dort besteht jetzt die Gefahr, daß die Lava in südlicher Richtung durch die San Dimas Avenue in den Bonelli County Park fließt, wo sie das Puddingstone-Wasserreservoir zu zerstören droht, und daß sie dann vielleicht weiter nach Süden wandert, bis sie den San Bernardino Freeway auf der anderen Seite des Parks zerschneidet. Ein Stück vom Freeway 210 wäre da unten ebenfalls gefährdet.«
    Die Namen der Straßen und Parks sagen Mattison nichts – er ist noch nie in seinem Leben auch nur in der näheren Umgebung von San Dimas gewesen –, und die Worte der Vulkanzentrale lassen nur ein nebelhaftes Bild der spezifischen geographischen Verhältnisse vor seinem geistigen Auge erstehen. Aber es kommt ohnehin nur darauf an, daß es südlich von hier einen Park, ein Wasserreservoir und ein anscheinend unbeschädigtes Stück Freeway gibt, daß sein wunderschön konstruierter Lavadamm den Strom genau dorthin lenkt und daß er sich jetzt beeilen muß, die Situation zu korrigieren.
    »Okay, alle mal herhören«, verkündet er. »Wir verlagern unsere Operation um neunzig Grad.«
    Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Die Schläuche müssen abgekuppelt und zu neuen Hydranten geschleift werden, die schwere Pumpe muß an eine andere Stelle geschleppt und dabei gedreht, und die Flugbahn des Wasserstrahls neu berechnet werden – und die Lava wird nicht stillhalten, während sie all das tun. Es ist eine Herausforderung, aber so was ist Mattisons Lebenselixier, der fundamentale Nährstoff für seine Heilung. Er schreit Befehle; und die ehemaligen Drogenabhängigen, ehemaligen Obdachlosen, ehemaligen Einbrecher, ehemaligen Straßenräuber, ehemaligen Huren – lauter »Ehemalige«, und immer nur im schlechten Sinn – seines armen, lädierten, verdreckten Teams setzen sich bereitwillig in Bewegung, weil dies zu ihrer Heilung gehört.
    Doch als sie gerade dabei sind, die Pumpe an ihren neuen Standort zu bugsieren, tritt Blazes McFlynn zurück, verschränkt die Arme vor der Brust seines Lava-Anzugs und sagt: »Kaffeepause.«
    Mattison starrt ihn ungläubig an. »Was hast du gesagt, verdammt noch mal?«
    ›»Auszeit‹ hab ich gesagt. Glaubst du, das ist ’n Kinderspiel, dieses Monster durch die Gegend zu zerren? Ich bin müde. Ich bin ein Krüppel, Matty. Ich muß mich ’ne Weile hinsetzen und Atem schöpfen.«
    »Die Lava ändert die Richtung. Jetzt sind ein Park, ein Reservoir und ein Freeway in Gefahr.«
    »Na und?« sagt McFlynn. »Was geht mich das an?«
    Mattison ist so verblüfft, daß ihm einen Moment lang die Worte fehlen. Wenn das ein Witz ist, dann ein verdammt lausiger. Er braucht McFlynn dringend, und das weiß McFlynn garantiert auch. Mattison steht sprachlos da, mit offenem Mund, und gestikuliert in einer hilflosen Pantomime.
    »Schieß drauf«, sagt McFlynn. »Nicht mein Park. Nicht mein Freeway. Ich weiß nicht mal, wo wir überhaupt sind, zum Teufel. Aber mein schlimmes Bein tut höllisch weh, und ich will mich hinsetzen und mich ausruhen, basta.«
    »Ich setz dich gleich hin, aber wie«, sagt Mattison, als er endlich die Sprache wiederfindet. »Ich setz dich in einen Vulkan, du aufsässiger, fauler Hurensohn. Ich steck dich mit dem Kopf

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