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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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darunter freilegen. Da und dort erheben sich dünne Zungen dunkler, geronnener Lava in spitzem Winkel wie schlanke Finnen aus dem Strom, so daß es den Anschein hat, als schwämmen Lavahaie rasch stromabwärts durch den feurigen Sturzbach.
    Als das Wasser aus ihrem dicken Schlauch den anrollenden Strom trifft, beginnt sich fast sofort ein Rand abkühlender Lava auf dem mittleren Rinnsal zu bilden. Die Front ändert ihre Farbe und ihre Struktur, verdickt sich und wird grau und runzlig wie Elefantenhaut.
    »Gut so!« ruft Mattison seinen Männern zu. »Bearbeitet sie weiter an dieser Stelle! Genau mittenrein, Jungs!«
    Das Wasser verdampft natürlich sofort, und binnen Sekunden sehen sie wieder mal nur eine Wand aus Dampf vor sich. Das ist der gefährlichste Moment, wie Mattison weiß: Wenn die Lava, die von einer gigantischen Faust aus Gas von unten hochgedrückt und auf sie zugeschoben wird, auf einmal schneller strömt, können er und sein ganzes Team von ihr eingeschlossen werden, bevor sie wissen, wie ihnen geschieht. Für die nächsten paar Minuten müssen sie blind gegen den herannahenden Lavastrom kämpfen, ohne die geringsten Hinweise auf dessen Geschwindigkeit und Position; ihre einzigen Anhaltspunkte sind Mattisons Wahrnehmungen seiner Hitzefluktuationen.
    Die Hitze ist momentan wirklich enorm. Nicht so groß wie im ersten Moment des Ausbruchs, das nicht, aber doch noch so stark, daß sie die Kühlsysteme ihrer Lava-Anzüge praktisch bis an die Grenzen belastet. Sie fühlt sich wie eine massive Wand an, diese Hitze: Mattison stellt sich vor, daß sie ihn halten würde, wenn er sich nach vorn gegen sie lehnen würde. Aber er weiß, daß sie das nicht tun wird; und er weiß auch, daß sie sich zurückziehen müssen, wenn es noch ein bißchen heißer wird.
    Sein Konzept besteht darin, zylindrische Stücke erstarrter Lava an der Front des Stroms zu erzeugen, quer zu dessen Bewegungsrichtung. Die sollen dafür sorgen, daß der Strom langsamer wird, während sich die frische Schmelze dahinter staut. Dann kann er den Spritzwinkel der Schläuche erhöhen und das Wasser weiter nach oben pumpen, um größere Lavablöcke zu formen, die er schließlich verbindet, um seinen Damm zu bauen. Und irgendwann hat er die glühend heiße Lava dann an der Quelle begraben, sie unter einem kleinen Berg neugeschaffenen Felsgesteins beerdigt und auf diese Weise die Aufwallung insgesamt erstickt.
    In der Theorie ist das wunderschön. Aber in der Praxis gibt es meistens Probleme, denn im Gegensatz zu einem normalen Fluß neigt die Lava dazu, die Geschwindigkeit, mit der sie auf einen zukommt, von einem Augenblick zum anderen zu ändern, und selbst wenn man eine hübsche kleine Sperre aus länglichen Lavastücken erzeugt oder sogar ein paar ziemlich große Dämmblöcke konstruiert hat, kann es passieren, daß ein Strahl dünner Schmelze plötzlich über den Rand quillt und auf einen zuschießt, und dann bleibt einem nichts weiter übrig, als die Schläuche fallenzulassen, die Beine in die Hand zu nehmen und zu hoffen, daß die Lava nicht schneller ist.
    Möglich ist auch, wie Mattison nur allzugut weiß, daß der Damm die Lava auf ihrem momentanen Kurs aufhält – und sie dadurch veranlaßt, einen anderen Weg einzuschlagen, so daß sie auf einen noch unbeschädigten Freeway oder noch unversehrte Häuser zufließt oder sich vielleicht über einen Hang in eine andere Gemeinde ergießt. Wenn man sieht, daß so etwas passiert, muß man die gesamte Operation um neunzig Grad verlegen und versuchen, einen zweiten Damm zu bauen, was nicht so einfach ist, wenn man zwei Tonnen schwere Pumpen bewegen muß.
    Hier läuft bis jetzt jedoch alles bestens. Wegen der extremen Hitze ist es eine strapaziöse Angelegenheit, aber sie weichen nicht zurück und haben sogar Erfolg. Es ist ihnen gelungen, sich etwa einen halben Block vom vorderen Rand des Lavastroms entfernt zu halten, und jedesmal, wenn der Dampf ein bißchen dünner wird, sieht Mattison, daß die Farbe der Lava dort von Grau in ein beruhigendes Schwarz übergeht, das Schwarz von massivem Basalt. Eine Pumpencrew aus einem anderen Citizens Service House ist eingetroffen, wie Mattison erfahren hat, und errichtet einen zweiten Lavadamm auf der gegenüberliegenden Seite des Ausbruchs. Die Feuerwehrteams sind in den angrenzenden Blocks am Werk; sie spritzen die Gebäude ab, die von dem anfänglichen Geysir der Lava-Fragmente entzündet worden sind.
    Wenn die Sicht gut bleibt, wenn die

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