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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Jess, wenn du recht hast, dann ist der einzige andere Schluß der, daß ich der Autor dieser Berichte aus dem Netz bin.«
    Das Telefon schwieg.

 
    Rotverschiebung
     
    Sternbilder verfließen vor uns, verwandeln sich in eine groteske Horrorshow. Stellare Insekten drängen sich, drängen sich immer mehr vor uns. Und verschieben sich ins Rote. Immer roter, so wie sie hinter uns nach wie vor ins Blaue hinein sterben.
    Wir nähern uns bis auf 1% der Lichtgeschwindigkeit. Der Reifen von Sternen um uns hat sich zu etwas wie einem Ring verdünnt. Jeder Stern ist jetzt scharf in seinem Farbenbogen eingeätzt. Es ist, als befänden wir uns innerhalb eines Regenbogens. Nicht die dünnen, ungreifbaren auf der Erde, sondern etwas Ungeheures und Wirkliches. Ein stellarer Regenbogen. Rot, Orange, Gelb, Grün. Blau. Violett. Und wir befinden uns hier in diesen durchsichtigen Strangwänden, umgeben von diesem Anblick.
    Ich kann es jetzt sehen. Die Geodäsie. Die Raumkrümmung. Sie ist jetzt für alle von uns da. Das erklärt das Geheimnis. Ich kann es in den Lichtbögen erkennen. Wir sind wie ein Gerinne, das den Berg hinunterläuft und seinen unausweichlichen Pfad sucht. Wie konnte es mir entgehen? Es ist wie mit einem dieser Vexierbilder – wir haben es bloß nicht auf die richtige Weise angesehen. Aber es war da. Es war immer da.

 
    Blaurotverschiebung
     
    »Bist du sicher, daß du fahren kannst, Chris?«
    Ich wirbelte den Regenschirm über ihrem Kopf, daß die Regentropfen wegspritzten. »Natürlich kann ich fahren, Liebling.«
    »Du hast diesen merkwürdigen Blick im Auge.«
    »Warte nur, bis wir zu Hause sind.« Ich zwinkerte. »Dann wirst du herausfinden, worauf sich dieser merkwürdige Blick bezieht.«
    Wir lachten beide.
    »Los, Chris, nehmen wir ein Taxi.«
    »Ich bin gut drauf, Isobelle, wirklich.«
    »Los, gib mir die Schlüssel.«
    Ich entzog mich ihr, so daß sie ohne Schirm war. »Du wirst naß. Da siehst du, was du getan hast.«
    Isobelle schüttelte den Kopf. »Du bist manchmal unmöglich, Chris.«
    »Aber du magst es, nicht wahr?«
    »Ja, aber …«
    »Isobelle, verdirb die Nacht nicht. Wir feiern. Ich fühle mich großartig. Wir sind beide in die engere Auswahl für die größte Reise gekommen, die je unternommen wurde. Wir sind mit Sicherheit dabei.«
    »Ich bin nicht ganz so optimistisch.«
    Wir stiegen beide in den Wagen, und ich steckte den Zündschlüssel ins Schloß. »Ich sage dir, Isobelle, wir sind so gut wie an Bord. Ein Ehemann-Ehefrau-Team. Ein Schriftsteller und eine Astrophysikerin, beide mit einem öffentlichen Profil. Dank des unglaublichen Marketingpotentials für all die Sponsoren. Jeder von uns hätte allein keine Chance, aber auf diese Weise sind wir dabei, Isobelle, sind wir dabei.«
    Isobelle lächelte, und ich beugte mich hinüber und küßte sie.
    »Ich wünschte, ich könnte da so sicher sein wie du, Chris.«
    »Halte dich an mich, Kindchen, und du wirst es weit bringen.«
    Isobelle lachte und schüttelte sanft den Kopf. »Zerbrechen wir uns jetzt nicht den Kopf über den Hyperraum. Bring mich nur nach Hause.«
    Ich zwinkerte. »Schneller als das Licht. Los.«
    Ich schaltete die Scheibenwischer ein, drehte den Schlüssel in der Zündung, und der Wagen startete.

 
    Rotblauverschiebung
     
    Ich habe vergangene Nacht mit Isobelle geschlafen. Ich weiß nicht, warum ich gerade ›Nacht‹ schrieb. Natürlich ist ›Nacht‹ im Augenblick das sinnloseste Wort im Universum. Ich bin durcheinander. Ich weiß nicht einmal, warum ich das schreibe. Ich weiß, daß Milliarden von Menschen daheim auf der Erde vielleicht jedes Wort studieren werden, aber irgendwie scheint das ein sehr privater Akt zu sein.
    Versuchen Sie sich auszumalen, wie es ist, mit jemandem zu schlafen, gewichtlos und umgeben von Sternen. Es war, als wären wir Teil des kosmischen Tanzes. Wirbelten. Drängten uns aneinander. Schlugen Kapriolen nach rückwärts. Und am Höhepunkt war es, als sei ein neuer Stern geboren worden und als strahlten wir Licht aus.
    Ich wachte natürlich auf, weil wir noch immer menschlich sind und wir nur einen Blick auf den kosmischen Tanz werfen können, aber das spielte keine Rolle, weil ich Isobelle in den Armen hielt und ihre Atemzüge hören konnte.
    Dann fiel mir der seltsamste Traum ein. Der seltsamste, allerseltsamste Traum. Es war in der Nacht gewesen, nachdem wir erfahren hatten, daß wir in die engere Wahl für die Besatzung des Netzes gekommen waren. Wir hatten gefeiert, und sie wollte

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