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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Tiefschlag.«
    »Ich wünschte, wir hätten noch immer Gefängnisse. Wie viel hätte ich in den alten Zeiten abgesessen? Vier oder fünf Jahre? Ich hätte in zwei wieder draußen sein können. Vielleicht wäre ich sogar ganz freigegangen.«
    »Das Gesetz hat sich nicht geändert. Sie wissen das. Wir haben schon oft darüber gesprochen. Es wäre selbst vor fünfzig Jahren Totschlag gewesen. Trunkenheit ist schon seit langem kein Entschuldigungsgrund mehr. Sie waren betrunken, Chris. Sie haben Ihre Frau getötet.«
    »Und ich werde dafür bestraft.«
    Dr. Karies schüttelte den Kopf. »Wir strafen nicht mehr. Wie oft haben wir seit dem Prozeß darüber gesprochen? Hundertmal?«
    »Ja«, sagte Christain, »es ist jetzt alles so human, nicht wahr? Ein bißchen Laserstimulation an der richtigen Stelle des Hippocampus, und ich leide für immer an der schmerzlichsten Reue.«
    »Nicht für immer, Chris. Die Intensität schwindet mit der Zeit, wenn sich die Synapsen im lateralen Ventrikel Ihres Gehirns anpassen.«
    »Ja, ich weiß, ich lerne damit zu leben.« Christain schüttelte es. »Aber wie kann ich Nacht für Nacht mit diesem Alptraumnachhall leben?«
    »Er wird aufhören.«
    »Bevor oder nachdem ich gestorben bin?« Christain begrub sein Gesicht in den Händen.

 
    Rotverschiebung
     
    Wir werden jetzt schneller – zumindest erzählen sie mir das. Natürlich gibt es im Vakuum kein Brausen des Windes um die Ohren, kein pfeifendes Geräusch. Es spielt sich alles im Sternenlicht ab. Wir haben 35 % der Lichtgeschwindigkeit erreicht, und ich kann es nicht besser beschreiben, als daß sich die Sterne vor uns zusammenzudrängen zu scheinen, wenn ich nach hinten sehe, scheinen sie hingegen auseinanderzulaufen. Es ist, als flögen wir in einen Sternhaufen und ließen etwas hinter uns, das zusammenschrumpft.
    Sternkarten sind jetzt nutzlos. Es hat etwas mit der Aberration zu tun, die Art und Weise, wie wegen unserer Geschwindigkeit das Licht schief auf uns trifft. Ich verstehe es nicht wirklich, aber die anderen nennen es Dopplerverschiebung – dieselbe Verzerrung, zu der es beim Geräusch eines Autos kommt, wenn es zunächst näher kommt und dann vorbeifährt. Ich glaube es ihnen aufs Wort. Vor uns gibt es einen schwarzen Kegel und hinter uns einen noch größeren. Es ist, als befänden wir uns in einem riesigen Faß von Sternen zwischen den beiden Kegeln.

 
    Blauverschiebung
     
    »Jess?«
    »Ja, Chris, bist du es?«
    »Hast du die Berichte erhalten, die ich dir per e-mail gesandt habe?«
    »Ja.«
    »Hast du sie gelesen?«
    »Ich habe sie überflogen. Sind sie wahr? Ich mache mir jetzt wirklich Sorgen um dich, Chris.«
    »Jess, sie sind wahr.«
    »Wie kommt es, daß du vor der Veröffentlichung ein Exemplar erhalten hast? Ging es an alle Autoren auf der Liste?«
    »Nein, Jess, nur an mich. Niemand außerhalb der Erdkontrolle hat sie gelesen.«
    »Hättest du sie mir senden sollen?«
    »Nein … aber, hast du etwas bemerkt?«
    »Nun …«
    »Klingen die Berichte, als seien sie von mir?«
    »Nun also, ja, vielleicht ein bißchen, aber …«
    »Lies sie noch einmal, Jess.«
    »Okay.«
    Am andere Ende herrschten einige Minuten Schweigen.
    »Nun, Jess?«
    »In Ordnung, wenn nicht du sie schreibst, so ist es jemand, der dir ziemlich ähnlich ist. Oder jemand, der deinen Stil nachahmt.«
    »Jess, da ist noch mehr. Die elektronische Signatur, die mit der Übertragung kam – es war meine.«
    »Was?«
    »Die Kontrolle hat es verifiziert. Und ich habe die Fassung, die man mir sandte, selbst überprüft.«
    »Da ist Wahnsinn. Es muß sich um einen Irrtum handeln.«
    »Du weißt, wie fälschungssicher diese elektronischen Signaturen sind. Die Weltwirtschaft hängt von ihnen ab.«
    »Aber jemand könnte irgendwo eine Technik entwickelt haben, um Signaturen nachzuahmen … das Netz, wer immer es konstruiert hat – seine Konstrukteure müssen unglaublich weit sein. Man könnte …«
    »Warum? Und warum meine Signatur? Welchem Zweck würde das dienen? Um mich zu quälen? Um zu sagen, he, du warst beinahe hier draußen in dem Netz, aber du hast es vermasselt? Du hast Unsinn gebaut. Anstatt der erste Schriftsteller im Hyperraum zu sein, hast du deine Frau umgebracht und bist durchgedreht.«
    »Niemand würde so grausam sein, Chris. Sie würden wissen, wie du gelitten hast. Sie haben dich der Reue-Therapie unterzogen. Du verspürst den Nachhall noch immer auf die schlechtestmögliche Weise. Was sonst würde jemand von dir wollen?«
    »Nun,

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