Das Jahr der Maus
mit getönten Scheiben, indem der Chauffeur mich dafür bezahlt, daß ich ihm eine Geschichte erzähle, wie er sie sonst nie mehr hören wird, wie sie nur einer wie ich erzählen kann, ja richtig, der Chauffeur müßte mich bezahlen, nicht umgekehrt. Geld ist nicht das Problem. Ein schwarzer Wagen ist kein Problem. Tricks sind kein Problem in meiner Lage, ich kenne die Tricks, ich habe die Mittel, noch. Was nützt mir das aber gegen die Übermacht? Ich fahre keine schwarzen Leichenwagen, ich bleibe anonym, ich mache es N. nicht zu einfach. Ich bin ein Angestellter der Gerechtigkeit. Meine Geschichte, die, einem zahlenden Chauffeur erzählt, Sinn machen würde, geht gerade mal so.
Das Gewehr stammte aus chinesischer Produktion und war der klassischen AK-47 nachgebildet. Da der Waffenfabrik bei Luojang Kopien der Originalpläne Kalashnikovs vorgelegen hatten, war die Nachahmung auch recht gut gelungen, ein Experte hätte den Unterschied daran erkannt, daß der Sicherungshebel sich in einer Richtung bewegte, die dem Original widersprach, und daß das Magazin und die mitgelieferten Reservemagazine aus schwarzem Kunststoff waren, damit des Schützen Hände nicht so leicht an ihnen festfrieren konnten, in Tibet zur Winterzeit etwa. Die Einheit in Tibet, der das Gewehr hätte zugeteilt werden sollen, war allerdings schon im vorigen Winter wieder nach Hause geschickt worden, wegen eines allfälligen Jahrestags des Massakers am Platz des himmlischen Friedens, es handelte sich also bei dem Gewehr um ein Opfer von Schlamperei. Nun ja, dachte sich der entsprechende Zeugmeister in Lhasa, wir haben nun hier Gewehre, aber nicht die zugehörigen Soldaten, also was tun? Er bestätigte den Eingang der Lieferung nach Luojang zurück und bestand darauf, die Rekruten bis ins Arsenal zu begleiten, auch wollte er genau sehen, wo die Kisten abgeladen wurden, und er schrieb sich die aufgedruckten Seriennummern auf. Denn er hatte sich eines Freundes erinnert, der ihm für Waffen wie gerade diese beträchtliche Summen Geldes angeboten hatte, und am nächsten Abend schon wieder war der Platz im Arsenal leer, wo das Gewehr mit allen seinesgleichen gestanden hatte. Das Gewehr ging auf Reisen, über den Hindukusch nach Afghanistan, dort sollte es mehr oder weniger linksgerichteten Volksmudschaheddin im Kampf gegen den afghanischen Gottesstaat dienen, diese Leute waren ein wenig mit Peking befreundet, und Peking wünschte die USA nicht davon zu unterrichten, daß es Guerillakämpfe in benachbarten Staaten anheizte, auf diese Weise hatte nun einmal der Zeugmeister in Lhasa gewissermaßen an die eigene Armee verkauft, wurde später aber trotzdem wegen Korruption hingerichtet. Die kleine Gruppe von Volksmudschaheddin, die die Kisten kurz hinter der afghanischen Grenze in Empfang nahm, wurde von einer Armeepatrouille überrascht. Die Guerilleros und die Waffenkisten wurden aufgebrochen, die Kisten gingen nach Kabul, die Leichen in einen Fluß. Die Vorgesetzten des Patrouillenführers waren über das Geschenk hocherfreut, denn es waren noch Schulden an die Freunde im Iran zurückzuzahlen, und Heroin war gerade im Westen nicht sehr in Mode, so daß es zu geringfügigen Problemen im cash-flow gekommen war. Der Iran wiederum hatte wieder einmal Meinungsverschiedenheiten mit der kurdischen Minderheit im Süden des Landes, diese beizulegen sollte das Gewehr helfen, auch wenn einige fremdartige Zeichen in seinem Rahmen kurz hinter dem Magazin einen Offizier der Revolutionswächter die Stirn runzeln ließen, noch am selben Tag wurde sein Stützpunkt von kurdischen Rebellen überrannt, und das Gewehr nützte zu seinem Tod. Seit etwa zwei Jahren war die betreffende Kurdenpartei mit den kommunistischen Kurden in der Türkei in einer ›historischen Allianz‹, das war nicht immer so gewesen, man hatte sich auch schon gegenseitig die Zungen herausgeschnitten. Nun allerdings war schönes Wetter zwischen dem südlichen Iran und der Bekaa-Ebene, und daher wurde das Gewehr nach seinem ersten Gebrauch gleich wieder eingetütet, und quer durch den nördlichen Irak in die östliche Türkei geschafft. Es hatte jetzt schon einen recht weiten Weg zurückgelegt und war auf diesem Weg grob der alten Seidenstraße gefolgt, das war ihm allerdings nicht bewußt, und es hätte sich auch nicht darum gekümmert. Noch jeder, durch dessen Hände es bisher gegangen war, hatte es einmal auseinandergebaut und geölt, die verschiedenen Hände waren dabei sehr sorgsam und geschickt
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