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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Zypern mit Mann und Maus an die Türkei angedockt wurde. Nach dieser Übereinkunft in Paris hatte es nur noch einhunderttausend Tote bis zu ihrer Umsetzung gebraucht und dann war der Krieg aus gewesen, der neueste Balkankrieg nämlich. Gedauert hatte er nur fünf Jahre, genützt hatte das den Toten auch nichts. Deutschland leugnete die Beteiligung seiner Truppen an Massakern (da seien die Türken federführend gewesen) und zahlte, aus humanitären Gründen, schmale Abfindungen an die Angehörigen von Massakeropfern. Das Thema war in den deutschen Medien nonexistent. Die griechische Regierung wäre damit einverstanden gewesen, hätte es ihren Devisenressourcen genutzt, aber die Deutschen kamen nicht. Die Helfer schickten mich zunächst nach Heraklion, Kreta.
     
    Von dort aus nach Loutro, einem winzigen Küstendorf, ganz und gar in geschmackvoller Andacht dem Tourismus vorbehalten. Die Fachkräfte waren einheimisch, das Publikum zu großen Teilen amerikanisch. Tagesgäste überwogen, sie hielten sich nicht lange mit dem Hinterland auf, das mühsam nur über einen Bergrücken (sechshundert Höhenmeter) zu erreichen war, dort gab es auch angeblich nur Schlangen und eine geschleifte deutsche Raketenstellung aus dem Krieg. Keine Probleme mit meiner Nationalität. Die Wirtin der winzigen Pension, auf deren rot gefliester Terrasse ich abends saß, um die letzte Fähre ablegen zu sehen, hielt mich nur für einen zahlenden Gast und war vernünftig freundlich. Es war noch nicht allzu heiß, der Sommer bereitete sich erst vor; es war vor allem die Sonne, die mich an diese Auszeit glauben ließ. Nachmittags Männer mit viel Eisenwolle auf der Brust in bunten Unterhemden, die rittlings auf umgestürzten Holzkisten Fische verkauften (schmelzendes Eis umher). Ein Denkmal an der Hauptstraße, die die einzige war: kleiner Obelisk in einem gepflegten, kettenumsäumten Blumenrondell, an der Vorderfront eine eingelassene Metallplatte, die zwei gekreuzte Schwerter zeigte, kein Name, kein Datum. Die Sprache mit ›o‹ und ›ph‹, mit ›ella!‹ und ›ne!‹ Ich hatte in Loutro nichts zu tun. Ich bewegte mich in geliehenen Booten viel auf dem Wasser der Bucht, die Loutro als natürlicher Hafen diente. Ich mag dabei hin und wieder eine lächerliche Figur abgegeben haben. Es schien mir, als wolle die Müdigkeit langsam aus mir ausziehen, als verdampfe sie unter der Sonne und mache einer gelinden Sattheit und Sicherheit Platz. Ich aß einigen Fisch. Mein Geschlecht war gleichbleibend männlich. Einer schönen grauhaarigen Amerikanerin um die vierzig, die an einem Nachbartisch alleine rauchte, sah ich auf subsexuelle Art und Weise in die Augen, das war mein einziger Urlaubsflirt.
    Am zweitletzten Tag vor meiner Abreise setzte sich ein Einheimischer hinter meine Fischplatte und verdeckte mir damit den Ausblick auf die untergehende Sonne. »Tryantafelidis mein Name«, sagte er in einem gepflegten Deutsch, und streckte mir seine Hand herüber. Ich kaute recht laut, um ihn zu verscheuchen, aber er ließ sich nicht beeindrucken.
    »Schön hier, nicht?« sagte er lächelnd, seine Artikulation hörte sich an, als stamme sie aus dem Fernsehen und von Sprachlehrgängen auf Kassette. Andererseits schien er hin und wieder nach Deutschland zu telefonieren, denn der Tonfall stimmte.
    »Sie sind Deutscher?« fragte er, und ich wußte, daß das eine anstrengende Unterhaltung werden würde.
    »Nein, Schweizer.«
    Er lachte und machte eine wegwerfende Bewegung mit der rechten Hand.
    »Ach was, ich habe Freunde in der Schweiz. Sie sind Deutscher.«
    Pause. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, der Sonne beim Untergehen zuzusehen, allerdings saß Tryantafelidis genau davor, sein Gesicht lag ein wenig im Schatten, die knollige Nase, die etwas altmodische Brille, die gepflegten Haare waren schon leicht hineinverwaschen in das milde Grau des Abends, das Weiße in seinen Augen war klar, seine Zähne waren klar. Er war herausgeputzt. Dies war eine Gelegenheit. Über uns, sehr hoch, noch in der Sonne, einige Möwen.
    »Mögen Sie Musik?« fragte er. »Ich liebe Musik. Wagner. Ah, Wagner!«
    Er atmete den Namen in meine Richtung, als läge sein ganzes Leben darin. Eine Bewegung am Rande meines Gesichtsfelds. Die Bewegung verdichtete sich zu der kompakten Masse eines zweiten Griechen, der sich ziemlich nah bei Tryantafelidis aufbaute und mit unterdrücktem Zorn auf ihn einzureden begann. Viele o- und ph-Laute, aber ›ella!‹ und ›ne!‹ kamen jetzt nicht

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