Das Jahr der Maus
diesen effekt nicht erreichen selbst unter härtesten bedingungen bleibt der euro stabil weil nämlich vieles, vieles, was wir uns nicht erklären können uns sehr auf Dinge hinweist wie 23 Grad im Schatten leichte Schauerneigung da geht man dann da raus und weiß genau jetzt ist der Moment gekommen, jetzt muß es geschehen daß die Vögel im Herbst nach Süden gehen … Wie eine Maschine, die hohl dreht. Ich wußte nicht, ob ihm die Helfer die Fähigkeit zum Schlaf gelassen hatten. Ich schnitt an der Hypnomaschine die Kabel durch. Ich zog den Kopf mit den bunten Lichtern aus seinem Gelenk, und versuchte ihn mir unter den Arm zu klemmen, aber er war zu sperrig. »Komm her, Kleiner«, sagte ich zu Kuhlmann. Es funktionierte. Er trug den toten Kopf seiner Maschine wie einen Säugling. Ich bugsierte ihn aus seiner Praxis heraus. Er war sehr hilflos. Selbst beim Einsteigen in den Bus mußte ihm gesagt werden, was zu tun war, und der Fahrer tippte wortlos den Code für hilflose Person in Begleitung ein. Einige neugierige Blicke auf das Ding, das der Schwachkopf durch die Gegend trug, mehr nicht. Das lautlose Dahingleiten des Luftkissenfahrzeugs schien Kuhlmann zu beruhigen, sein Gefasel sank zu einem Gemurmel ab, der Faden riß aber nie. Weit im Norden der Stadt stiegen wir aus, und kaum waren wir unter freiem Himmel, da brabbelte Kuhlmann wieder los, aber ich hatte kein Ohr mehr dafür. Er lächelte und brabbelte, und Speichel rann ihm aus dem Mund. Es war ein klarer Himmel. Wir standen in einer ruhigen Seitenstraße, ich fühlte mich furchtbar. Der Idiot mit seinem toten Gerät im Arm sah mich freundlich an und sprach mit niemand bestimmtem. Ich tippte ihm auf die Brust, und schickte ihn mit einem ausgestreckten Arm die Straße hinunter. Er setzte sich in Bewegung wie eine Laufmaschine. Noch paßten seine ordentlichen Kleider nicht zu seiner Idiotie. Aber das würde sich geben, wenn er erst einmal ein paar Tage, eine Woche, einen Monat ziellos durch diese Stadt gelaufen war, den Elektroschrott in seinen Armen, bei Hunger instinktiv in den Abfallkörben wühlend, bei Durst instinktiv nach Wasser suchend, bis er eingefangen und hospitalisiert werden würde, zum besseren Schutz der Allgemeinheit vor seinem nicht enden wollenden Gerede. Aber sie würden hohe Dosen brauchen, um ihn zum Schweigen zu bringen, so hohe Dosen, daß er fast sterben würde von der Dauermedikation, zwangsernährt, komatös. Er lief die lange Vorortstraße hinunter und wurde dabei kleiner und kleiner. Er war völlig hilflos. Er war unverheiratet und hatte keine Familie, niemand würde nach ihm suchen. Ich hatte ihn in die Irre geführt. Wenn die Helfer ihn zur Kur ausgesucht hatten, dann war er schuldig. Er hatte Dutzende, vielleicht hunderte Frauen wie mich verarztet, gedemütigt, zerbrochen. Mir war sterbenselend.
Bei der Rückkehr in mein Hotel wollte der Portier freundlich sein.
»Wie gefällt es Ihnen hier in Frankfurt?«
Joviales Hessen.
»Ausgezeichnet«, sagte ich so frostig wie möglich, und griff nach dem Zimmerschlüssel, einer Minimagnetkarte, die mit ihrem schwanzähnlichen, gummiberingten Anhänger auf der Theke aus Mahagoniimitat lag. Aber der Hesse war schneller. Lächelnd, ganz antrainierte Galanz, ließ er den Schlüssel in meine Hand gleiten.
»Der Herr Gemahl hat eine Nachricht für Sie hinterlassen.«
»Ausgezeichnet«, wiederholte ich meine Nulleinlassung von eben, um meine Überraschung nicht zu offenbaren. Ich war mein eigener Gemahl, aber der Portier überreichte mir tatsächlich ein kleines Briefchen mit dem eingeprägten Krönchen der Hotelkette im Papier. Ich wußte nicht, was dieser Unsinn sollte, aber offensichtlich steckten die Helfer dahinter. Ich tat das Ding in die Tasche meines Sommermantels und machte, daß ich auf mein Zimmer kam.
Dort warf ich mich rücklings auf das Bett und versuchte zu weinen oder zu schlafen, beides war mir erst möglich, als ich an Kuhlmann denken mußte, der in der Irre war. Also weinte ich mir die Augen aus und hoffte, daß niemand meine Verzweiflung zu hören bekam. Dann schlief ich blind und erschöpft ein.
Ich wachte im frühen Abend auf, mit einem pelzigen Gefühl im Mund und entzündeten Augen. Ich sah mich im Spiegel an und wollte gleich wieder einschlafen, dafür war ich aber jetzt zu ausgeruht, außerdem erinnerte ich mich an die angebliche Nachricht von meinem Gemahl, die immer noch in meiner Manteltasche steckte. Die Nachricht lautete: 19.30 Uhr, Bar. Der Gemahl
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