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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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einige Deutsche mit Ehre im Leib, die diesen Verleumdungen mit Macht entgegentreten wollen. Kommt Zeit, kommt Rat.«
    »Herr Österle, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.«
    Ich beendete die Aufnahme, indem ich leicht auf die Kegelspitze drückte, die Farbe des Geräts wechselte von einem lebhaften Grün zu einem stumpfen Blau, und kleine Lamellen verschlossen die Schlitze an seinem Saum.
    »Interessantes Gerät, das Sie da haben«, sagte Österle. Er war durch den angenehmen Verlauf des Gesprächs offenbar wohlig erregt. »Hatten wir seinerzeit auf Kreta auch, damals waren sie allerdings noch ein bißchen größer. Sehr zuverlässig.«
    Und dann half er mir. Zutraulich und jovial, wie ihm im Beisein eines jungen Volksgenossen eben zumute war.
    »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was das eigentlich für eine Fotografie ist, die da auf meinem Tisch liegt.«
    Mit der ganzen Nonchalance eines Machtmenschen, der Widerspruch noch nie hat leiden können, ließ Österle seiner Neugier freien Lauf und griff nach dem Bild. Er hatte es noch nicht ganz wieder zu sich herangezogen, da setzte die Wirkung ein, und statt wieder befriedigt in seinen Sessel zurückzufallen, bekam er das Übergewicht und legte sich auf seinen Tisch, der mit einem beleidigten Ächzen in seinen schlechten Fugen nachgab und ihn auf den Boden fallen ließ. Seine immer noch tauglichen Reflexe brachten ihn dazu, sauber abzurollen, dabei verlor er das Bild aus der Hand und drehte sich auf den Rücken. Er schien mehr überrascht als entsetzt, als er sagte:
    »Ich brenne ja.«
    Statt einer Antwort öffnete ich meine Hose und entleerte meine Blase über ihn. Dieses Verfahren hatte er in seiner aktiven Zeit Kommunistenfeuerwehr genannt: den Verdächtigen anzünden, und ihn dann zu dritt und viert anzupissen, anzünden, anpissen, anzünden, anpissen. Eine der vielen kreativen Ideen des Verhörspezialisten Werner Österle. Als ich mich ausgepißt hatte, und die letzten Tropfen abschüttelte, sagte ich:
    »Mit freundlichen Grüßen von ihrer Tochter Monika.«
    Und er blieb stumm, weil sich gerade der Schmerz des Verbranntwerdens in seinem Nervensystem durchzufressen begann; weil seine Haut immer stärker das Signal sandte, sie würfe gerade in der Hitze Blasen; weil er immer deutlicher das brennende Feuerzeugbenzin roch, in das sein ganzer Körper von oben bis unten eingetaucht war. Nervenfeuer. Mit freundlichen Grüßen von den Helfern. Noch vor seinem ersten Schrei hatte er einen Knebel im Mund, er konnte sich nicht dagegen wehren. Alles weitere erreichte aufgrund dieser Dämpfung die Ohren der Nachbarn nicht.
    Ich verachtete mich immer noch, als ich den versiegelten Recorder an eine Postfachadresse in Frankfurt schickte, eine ganze Woche später.
     
    Mit dem Leihwagen unterwegs, unter meinem echten Namen, mit meinen echten Papieren. Aber was heißt das schon. Als ich dem gelackten Manager der Hertz-Filiale meine echten Papiere gab, kamen sie mir trotzdem gefälscht vor, und nur seine alberne antrainierte Kundenfreundlichkeit hinderte mich daran, in seinem Büro in das Schwarze Loch zu stolpern, das sich auftat, als ich mich wieder einmal fragen mußte, wer ich eigentlich noch war. Und dabei ist die Antwort ja so einfach. Meine Papiere, die immer noch so heißen, obwohl sie aus einer über und über mit Chips bedruckten Magnetkarte bestehen, sagen es mir. Der dreirädrige Wagen gleitet leicht über die alten Autobahnen. Ich übernachte in automatischen Hotels, deren fünf Kubikmeter große ›Zimmer‹ mit Bildschirmen in Augenhöhe und klassischer Musik gegen die Klaustrophobie ankämpfen. Die hochauflösenden Bildschirme hinter kratzfestem Panzerglas zeigen den Himmel, Mozart wird ausgeschlachtet wie ein Kadaver, und wenn ich den Kopf drehe, wird mir immer ein kleines Märchen zum Einschlafen erzählt.
     
    Dear Customer, in case you encounter any problems while staying in one of our hotels, we encourage you to call our toll free number XYZ to report about them. Be assured, that our customer-satisfaction control unit (CSCU) will take the utmost efforts to fix any problem in the shortest time possible. Please bear in mind that ›toll free‹ in this case refers only to calls from within the US.
    Dreamdornt Corp.
    Corpus Christi, Texas
    USA
     
    Das Schild ist kaum noch lesbar, von tausend Münzen, Messern und was weiß ich für Gegenständen zerkratzt, angegriffen, verschrammt, insbesondere die ›toll free number‹ ist völlig getilgt worden. Da ich

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