Das Jahr der Maus
dem Dienst an Deutschland gewidmet hat, heute über die Griechenlandfrage?«
Er schien ein wenig amüsiert über den jungen Spund, der über Dinge redete, von denen er keine Ahnung haben konnte. War der überhaupt schon dreißig? Na ja, das wohl schon.
»Die Griechenland-Frage, ja ja, die Griechenland-Frage. Wissen Sie, ich denke, wir haben für die Türken Zypern erobert, weil die Amerikaner nicht wollten, daß wir unsere griechischen Mittelmeerhäfen behalten. Diesem Konzept sind einige tausend deutsche Soldaten geopfert worden, und jetzt regiert dort unten der Abschaum. Das denke ich darüber.«
»Ist es für Sie nicht bitter, mitanzusehen, wie das Reich, nachdem ihm die Verbündeten den Dolch in den Rücken gestoßen haben, Geschäfte mit Kommunisten macht?«
»Bitter. Hm. Bitterkeit ist nicht das richtige Wort. Das würde Resignation andeuten. Meine Freunde und ich, wir machen uns schon Gedanken darüber, wie dieser Zustand beendet werden könnte. Das Reich tut sich keinen Gefallen damit, für etwas zu bezahlen, das uns aufgrund unseres Blutzolls sowieso zusteht. Wir hätten die Griechen gerne vor der kommunistischen Gefahr beschützt, wenn sie das nur zugelassen hätten. Statt dessen fällt man uns in den Rücken. Was ich hier sehe, ist ein eklatanter Mangel an Dankbarkeit. Meine Freunde und ich sprechen darüber. Wir sind damit nicht einverstanden.«
»Sie sind politisch noch aktiv?«
Er stutzte; offenbar wurde ihm bewußt, daß er mehr erzählt hatte als eigentlich gewollt.
»Wir verständigen uns. Kein Aktivismus. Wir sind alte Männer, machen sollen die Jungen was.«
»Wenn die Jungen ›was machen sollen‹, was würden Sie ihnen dann vorschlagen?«
Er nahm einen Schluck aus seiner Tasse, um Zeit zu gewinnen.
»Es gibt heute im Reich ein Problem, und dieses Problem haben wir vor der Evakuierung vorausgesehen. Weil wir Griechenland damals verlassen haben, sieht es so aus, als hätten wir uns kampflos ergeben. Die Jugend vertraut nicht mehr auf ihre Stärke, weil die Alten Politik gemacht haben. Die fundamentalen Werte sind nicht mehr so tief verankert. Ehrlichkeit, Opfermut, Gehorsam, alles Tugenden, die Deutschland immer stark gemacht haben, bröckeln, und sie bröckeln, weil wir sie damals nicht gelebt haben, nicht haben leben dürfen. Den Jungen fehlt etwas. Feuer, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Und dieser Mangel an Feuer, auch in der nationalen Frage, in der Frage der Ostgebiete, ist es doch, der diese seltsame trübe Faulheit erzeugt, die heute im deutschen Reich vorherrscht, ganz abgesehen …«
»… von der Beeinflussung durch gewisse rassische Elemente, die ja seltsamerweise auch im heutigen Griechenland des Abschaums das Sagen haben, richtig.«
Ich hatte ihm aus dem Herzen gesprochen, von ganz tief drinnen antwortete mir die Stimme des unverbesserlichen Nazis. Schäumend.
»Das ist es, was heute komplett versäumt wird in unserer sogenannten Wahlmonarchie, mit ihrem künstlichen Hofadel und all dem volksfremden … den volksfremden Elementen, die die Politik bestimmen. Man versäumt es, die nationale Frage mit der Rassenfrage zu verbinden, dieser Bruch hat es möglich gemacht, den Türken Zypern zu überlassen, während wir uns zurückziehen mußten, die Arbeit nur halb getan. Wir hätten dort unten aufgeräumt, ohne große Kosten. Statt der Ehre und eines gesunden nationalen Selbstbewußtseins bestimmt heute wieder das Geld die Politik. Wirklicher Adel hat mit diesen plutokratischen Wichtigtuern, die heute den Ton angeben, nichts zu tun.«
Ich wollte zum Schluß kommen, denn eigentlich war die Zeit, die die Helfer mir für das Interview gesetzt hatten, schon überschritten. Mir war aber immer noch nicht klar, wie ich die Fotografie in die Gesprächssituation einbauen sollte.
»Herr Österle, eine letzte Frage. Neuerlich werden wieder Gerüchte laut, die deutschen Truppen hätten seinerzeit Greueltaten in Griechenland begangen. Haben Sie von diesen Gerüchten gehört? Und wenn ja, was denken Sie darüber?«
Er verschränkte seine Arme vor der Brust.
»Ich möchte dazu nur eines sagen. Die Lügenmäuler, die die Ehre deutscher Soldaten zu beschmutzen versuchen, sollten sich lieber vorsehen. Vielleicht werden sie sich eines Tages dafür noch verantworten müssen. Es ist bezeichnend für den Zustand Deutschlands, daß nicht jedem Schwätzer, der sich über sogenannte deutsche Greueltaten ausläßt, sofort das Maul gestopft wird, aber wer weiß, vielleicht gibt es ja noch
Weitere Kostenlose Bücher