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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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wurden nicht am heimischen Telefon besprochen, weil der Schall von diesem Telefon aus einen Umweg nahm. Ansonsten waren die Sozialleistungen der Firma vorbildlich. Der Chef, ehemaliger Offizier des Reichswehrgeheimdienstes RWSD, verrichtete seine Arbeit mit einer gewissen Melancholie. Die Vereinbarungen und Verträge gingen ausnahmslos über seinen persönlichen Schreibtisch. Er war diplomierter Elektrotechniker, und wenn er in seiner Entwicklungsabteilung vorbeischaute, wurden den Weißkitteln der Rücken steif, weil ihnen nicht nur die Macht, sondern auch das Wissen über die Schultern sah. Andererseits war Peter Rinnthal musisch veranlagt. Er spielte erstaunlich gut Klavier, weswegen ihn seine Frau seit zwanzig Jahren liebte. Die Verbindung war allerdings kinderlos geblieben, auch das ein Grund für die Restunzufriedenheit Rinnthals mit der Welt. Adoption wäre für ihn das Eingeständnis einer Niederlage gewesen, deswegen steckte er seinen Schmerz lieber in sein Klavier, viel Mitleid in seine Frau und seinen Schwanz in eine andere. Freitags abends ging Rinnthal in einen Club, der so vornehm war, daß er nicht einmal ein Türschild hatte, geschweige denn eine öffentlich anwählbare Telefonnummer, Mitgliederlisten oder andere Vulgarismen dieser Art.
     
    … eine Straße mitten in der Wüste, voller ausgebrannter Autos bis zum Horizont, benzinfeuergeschwärzte, reifenfeuergeschwärzte Wracks, betrachtet über das Visier einer Maschinenkanone, die aus dem Helikopter hinausragt in die morgendlich kühle Steppenluft, die Sonne geht auf und kann nicht abgeschossen werden, die Leichen zwischen den verkohlten Wracks trocknen ein in diesem Klima und können von der Erde nicht verdaut werden, nichts bewegt sich mehr seit Tagen, dies ist nur ein Kontrollflug, eine mürrische Stille hier drin, dort unten Stille ohne Murren, noch einmal zielen, noch einmal auf einige Gazellen schießen, die am ausgelaufenen Benzin schnuppern wollen, die Gazellen springen davon, während der Donner der Rotoren über die erstarrte Magma hinwegzieht wie ein Gewitter über einen Vulkan, der gestern noch tätig war, ich soll keine Munition verschwenden, sagt der Kommandant und scheucht uns zurück zur Basis.
     
    Den Mitgliedern des namenlosen und gesichtslosen Clubs wurde ich vorgestellt als der Schöpfer vielfältig sinnvoller und brauchbarer Software. Ich konnte da erst seit einem Tag programmieren. Ein gewisser Aicheler, der größte Rendsburger Bauunternehmer und einer der stärksten Einflüsse in diesem Club, war von den Helfern dazu verleitet worden, an die Empfehlung eines alten Freundes aus dem Verteidigungsministerium zu glauben, der ihm schon oft gefällig gewesen war, jetzt war Erzberg einmal dran, und er tat seine Freundespflicht. Beim ersten Clubabend, an dem ich teilnahm, wurde ich Rinnthal mit der Bemerkung vorgestellt:
    »Northoff schickt ihn. Schlaues Kerlchen. Computer und so.«
    Während Aicheler seine soziale Stellung und die aufwärtsstrebenden Bilanzen seines Unternehmens durch eine Körperfülle und Jovialität am eigenen Leibe auszudrücken versuchte, stand Rinnthal ein wenig unglücklich da, schmal, mit Brille, leicht gebeugt, grauhaarig. Auf den ersten Blick hätte man ihn für einen Gymnasiallehrer halten können, auf den zweiten für alles andere als das. Und erst seine Stimme paßte überhaupt nicht zu dem ersten Eindruck, die man von ihm gewinnen konnte, sie war dunkel und erstaunlich klangvoll. Fester Händedruck, grüne Augen. »Northoff, aha«, sagte Rinnthal. Er vertraute mir nicht, und fragte blickweise bei Aicheler nach, ob das alles seine Ordnung habe. In meinem Rücken wurde spürbar genickt. »Kommen Sie«, sagte er zu mir, und führte mich in den Sitzungssaal. Er war hier der Chef. In dem erstaunlich nüchternen Sitzungssaal, der ganz ohne Kerzen, Mahagoni und dergleichen auskam, standen nicht einmal Aschenbecher auf dem Tisch, nur die kleinen neurotischen Mineralwasserflaschen nebst den kleinen neurotischen Gläsern, die bei langweiligen Sitzungen unter Delegierten und Machthabern die einzige Abwechslung darstellen. Bis auf ein eigenartiges Symbol an der Stirnseite des Tisches, das wie eine Blitze schleudernde Sonne aussah, war der Raum schmucklos, keine Pflanzen, keine Bilder, keine Skulpturen, nichts. Die Verkleidungen an der hinteren Querwand konnten alles und nichts verbergen, diese grauen Quadrate sahen noch am ehesten nach ›Kunst‹ oder ›Schmuck‹ aus, abgesehen von dem Sonnensymbol, aber man

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