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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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magazine mit den berichten aus dem leben der königlichen familie, und alles woran man denkt, ist mord. einsteigen. die spulen laden sich auf, und der zug wird einige zentimeter angehoben. dann pfeifen die türen zum abschied, und es geht los. hinein in den gleitenden traum. hinein in die galoppierende erinnerung. hinein. und ab.
     
    Das Ziel wohnte in einer der besseren Gegenden Hannovers, obwohl es nicht unbedingt reich oder auch nur wohlhabend war. Es ging dabei um die Ehre, das Ziel war ein Leben lang ein Mensch von Ehre gewesen, und als es mir die Tür aufmachte, sah ich schon an seiner Kleidung, daß sich das Ziel diese Gegend nur aufgrund massiver Einsparungen an den Bedürfnissen des täglichen Lebens leisten konnte. Alles picobello. Alles furchtbar leer und arm. Der Spielwarenladen, den es am anderen Ende der Stadt betrieb, konnte nicht sehr erfolgreich sein, oder es floß Geld für Drittunternehmungen ab. Andere seines Jahrgangs hatten in ihrer aktiven Zeit ein Vermögen beiseite geschafft, nicht so es. Das Ziel war etwa sechzig Jahre alt und sah jünger aus, es hielt sich stocksteif aufrecht und hatte immer noch etwas Soldatisches an sich. Der Mann war nicht sehr groß. Er hatte das restliche Haar quer über die Glatze gekämmt, er trug eine weinrote Wollweste und darunter einen Pullover, der Cord wurde an den Knien schon dünn. Nicht daß er dem Feind deswegen einen Fußbreit nachgegeben hätte. Um die Augen waren zwar Runzeln, aber sie kaschierten die stählerne Härte nicht, die einmal den Namen dieses Mannes zu einem Eishauch gemacht hatten. Die griechische Botschaft fragte ab und zu offiziell an, ob dieser Mann inzwischen in Deutschland aufgetaucht sei, die Regierung antwortete: Man gebe grundsätzlich keine Auskünfte über Bürger des Königreichs an ausländische Staaten weiter, außerdem sei davon auszugehen, daß Werner Österle bei der Evakuierung von Athen unter die Räder gekommen sei. Inoffiziell kannte die ständige Vertretung des nationalrevolutionären Griechenlands sogar Grunds Telefonnummer, obwohl sie in keinem Telefonbuch und auf keinem öffentlich zugänglichen Datenträger dieser Welt aufgelistet war; bei Bedarf hätte man von Athen aus Werner Österle jede Nacht aus dem Schlaf klingeln können, um ihn nach dem Befinden zu fragen. Es gab Pläne, Herrn Österle aus Deutschland zu entführen und vor ein griechisches Militärgericht zu stellen, diese Pläne wurden bei jeder Geheimsitzung des revolutionären Exekutivrats auf eine Zeit verschoben, da man auf stabile wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland verzichten konnte, Realpolitik eben. Von den Geheimsitzungen des revolutionären Exekutivrats wiederum war in Berlin das meiste bekannt, und deswegen lebte Herr Österle in völliger Unbeschadetheit in seinem leicht überdimensionierten Einfamilienwohnheim in Hannover, und führte ansonsten ein Spielzeuggeschäft mit Qualitäts-Holzspielzeug aus Thüringen und Thailand. Dieser Mann war ein Held. Werner Österle sagte zu mir:
    »Setzen Sie sich doch.«
    Ich setzte mich auf das alte Sofa, das mit großer Mühe in Schuß gehalten wurde, die Mühe war ihm anzusehen. Das Haus schien recht groß, und doch schnürte mir eine eigenartige Enge die Kehle ab. Herr Österle machte den Kaffee selbst. Während er in der Küche zugange war, packte ich mein Aufnahmegerät aus und legte es auf den Tisch; der flache Kegel mit den schmalen Ritzen rundum schimmerte grün, betriebsbereit. Ich nahm das Photo von Tryantafelidis aus meiner Brieftasche und legte es mit der Bildseite nach unten auf den Tisch. Die Tassen klirrten leicht, als Österle sie auf den Tisch stellte. Er tätschelte ein wenig die Lehne seines Sessels.
    »Das passiert nicht oft, daß ein Reporter …«
    »Wir zeichnen schon auf, Herr Österle.«
    »Ah, gut. Einerlei. Wie gesagt, kommt selten vor, daß einer von euch hier auftaucht. Ich gebe keine Interviews. Die Griechen sind mir immer noch böse. Wenn Staiger nicht angerufen hätte. Aber lassen wir das. Fragen Sie nur, fragen Sie.«
    Lässiges Handwedeln. Ein Offizier.
    »Wie geht es Ihnen, Herr Österle?«
    Er lachte kurz.
    »Hervorragend. Sehen Sie das nicht? Keine Probleme. Gesundheit gut, genug zu essen, ein Dach überm Kopf. Danke der Nachfrage.«
    Noch einmal ein trockener Lacher.
    »Herr Österle, ich bin für meine Zeitung, die Dritte Kraft hier, weil unsere Leser vor allem eines interessiert: Wie denkt jemand, der soviel für sein Vaterland getan hat, der seine besten Jahre

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