Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
holen.«
    »Wie Mister Nelson Macho, zum Beispiel?«
    »Leda, ich weiß, daß du ihn nie gemocht hast. Aber du mußt mir helfen. Wäre es möglich, ihn via Cyberverbindung zu treffen.«
    Leda pfeift durch die Zähne. »Meine Göttin, bist du in den Typen verknallt? So etwas hat noch nie jemand versucht, weder die Zulus noch die NASA. Nicht einmal NipponSpace hat das gewagt, und die haben in diesem Bereich immer die Nase vorn. Ich werde schauen, was sich machen läßt, und dir das bei Gelegenheit mailen. O.k.? Ich muß wieder in den Club zurück.«
    Leda wirft Amber eine Kußhand zu und löst sich in einem Konfettiregen aus bunten Lichtpunkten auf. Sie hat sich aus dem virtuellen Raum ausgeklinkt.
    Sifu wartet im Hof auf Amber und überreicht ihr eine Textdatei über seine Arbeit an einem verbesserten Hackerschutz. Sie zeichnet mit dem Finger ein Q für Quit in die Luft, einem archaischen Befehl zum Beenden des Programms. Dieser Ausstiegsbefehl ist seit den ersten Computern vor mehr als hundert Jahren derselbe geblieben.
    Amber streift die Cyberbrille ab, liest die fertiggestellten Texte von Sifu durch und schickt den Bericht über Zürich umgehend an die HanNet-Zentrale – uff, geschafft.
    Da sie keine Müdigkeit spürt, zieht sie sich einen hoteleigenen Badeanzug an, hüllt sich in den Frotteemantel, der im Bad hängt und fährt mit dem Lift aufs Dach, wo sich das gedeckte Bassin befindet. Wie erwartet, ist um diese Zeit kein Mensch mehr auf. Der diskrete Ambientsound hüllt sie in eine wohlige Behaglichkeit ein. Sie legt den Mantel auf eine geheizte Bank, läßt sich ins körperwarme Wasser fallen und schwimmt in kräftigen Zügen zehn Längen am Stück. Danach fällt sie erschöpft ins Bett.
     
    Der Traum spult wie einer der alten Filme ab: mitteleuropäische Straßenfluchten, kontinentale Hochsommerhitze, Amber leicht bekleidet und verschwitzt. Sie spürt, daß sie verfolgt wird, ohne daß sie dafür einen konkreten Beweis hat.
    Weil sie zu Fuß nicht schnell genug vorwärts kommt, steigt sie in einen schwarzen Fiat. Der Schlüssel steckt, sie läßt den Motor an, legt den ersten Gang ein und gibt Gas. Da sie sehr lange kein Auto mehr gefahren ist, hofft sie, daß sie den Motor nicht mit zu brüskem Kuppeln abwürgt. Aber das ist wie mit dem Fahrradfahren, das verlernt man auch nach einer sehr langen Pause nicht.
    Sie fährt aus der Stadt, durch sommerliche Wälder, an Weiden und Äckern vorbei. Es riecht nach Heu. Sie fühlt sich befreit, kein Wunder, daß Autofahren im letzten Jahrhundert so beliebt war. In einem kleinen Dorf mit alten Bauernhäusern muß sie anhalten, da sie in einem Verkehrsstau steckenbleibt. Amber sucht die Ursache des Staus, sieht jedoch nur aufgeregte Menschen, die zum Himmel deuten.
    Sie sieht die Rottöne des Sonnenunterganges, das kann aber eine derartige Menschenmenge nicht erklären. Dann erscheinen am Himmel bunte Lichtpunkte, die ihre Form und Farbe in chaotischen Intervallen verändern. Die Flächen werden größer, vermehren sich in der Zahl, hüpfen in unregelmäßigen Rhythmen umher, verdecken langsam aber sicher das Firmament. Die Dunkelheit der Nacht wird von seltsamen Lichtern erhellt. Ein Dröhnen erfüllt die Luft, und ein riesiges Fluggefährt tritt aus den Lichtern hervor.
    Eine junge Frau mit sehr heller Haut und einem schmalen Gesicht mit auffallend schräggestellten Augen faßt sie an der Hand und zieht sie in die Scheune eines Bauernhauses. Amber spürt die Angst der Frau, die sich auch auf sie überträgt. Sie versuchen sich zu verstecken.
    Der Flugkörper wird größer, sein Licht blendet sie sogar durch die Ritzen der Holzlatten hindurch. In diesem Moment realisiert Amber, daß sie nicht hinter ihr selbst her sind, sondern die junge Frau wollen. Sie wurde als kleines Mädchen auf der Erde gelassen und wird jetzt von den Artgenossen ihres ursprünglichen Volkes zurückgeholt. Amber faßt die Frau am Arm und geleitet sie hinaus. Sie müssen die Augen geschlossen halten, das Licht ist stärker als drei Sonnen.
    Im Moment, wo das riesige Raumschiff auf der Erde landet, holt sie das Piepsen des Weckmoduls aus dem Schlaf. Erleichtert stellt Amber fest, daß sie geträumt hat. Das Erlebte war derart realistisch, daß sie mehr als eine halbe Stunde braucht, um sich in der Wirklichkeit wieder einzuklinken. Wow, die Intensität der Lichtmuster kennt sie bisher bloß von Halluzinogenen, nicht jedoch von Träumen, die ihr bisher alle in Watte gepackt schienen. Die Farben in

Weitere Kostenlose Bücher